WAN HU ZHEN I Was uns Labubu lehrt / Von Liu Zhengrong*

„Was uns DeepSeek lehrt“, fragte diese Kolumne Anfang Februar. Nun stellt sich dieselbe Frage, aber für einen ganz anderen Fall.  – in identischer Konstruktion, aber für einen ganz anderen Fall. US-Chips, die China nicht erhalten darf, spielen diesmal keine Rolle. „Wettbewerbsverzerrende Staatssubventionen“ kann man dem Fall auch nicht vorwerfen. Auch die übliche Klage über „chinesische Überproduktion“ führt ins Leere. Ganz im Gegenteil: Labubu, das kleine Elfchen mit wechselnden Gesichtsausdrücken und Kostümen, in verschiedenen Größen, aber stets mit neun sichtbaren Zähnen – vier links, fünf rechts –, ist schwer zu bekommen. Egal ob in Shanghai, Seoul oder Barcelona. Künstliche Verknappung, nennt man das. Doch zum Glück ist Labubu keine Seltene Erde.

Das chinesische Unternehmen hinter Labubu, Pop Mart, ist an der Börse in Hongkong notiert. Anfang Juli erreicht der Börsenwert 36 Milliarden Euro – so viel wie BASF, und deutlich mehr als die amerikanischen Spielzeug-Giganten Hasbro und Mattel zusammen. Wieder einmal eine überzogene Aktienblase? Wan Hua Zhen spekuliert nicht. Die Börse preist nun mal die Zukunft ein – die eintreten könnte, oder auch nicht. Deshalb ist die Blasen-These immer irgendwann richtig. Und dennoch: Man würde sich wünschen, dass auch Deutschland einmal einen solchen globalen Hype hervorbringt – unter Konsumenten, an der Börse, oder beides. Denn das Erfolgsrezept hinter Labubu hat in Deutschland eine deutlich längere Tradition als es in China der Fall ist.

Labubu steht für Marke, Innovation und Vermarktung. Die perfekt ausgeführte Auftragsfertigung war gestern. Die Figuren haben keine Verbindung zu bekannten Comic-Serien oder Hollywood-Animationshelden. Labubu ist ein originäres Designer-Spielzeug, entstanden aus der Zusammenarbeit mit dem Hongkonger Künstler Kasing Lung (auch Long Jiasheng geschrieben).

China war und ist die Fabrik der Welt – begonnen hat das mit der Spielzeugindustrie. China wird zunehmend zum Labor der Welt. Jüngste „Überraschungen“ kommen aus der Biochemie und Wirkstoffforschung für die Pharmaindustrie. Und nun auch immer mehr internationale Marken Made in China?

Manche bezeichnen Labubus Popularität als „zufällig“. Tatsächlich erhöhte sich die globale Beliebtheit, als Prominente wie David Beckham, Rihanna oder auch Ubol Ratana, die thailändische Prinzessin, sich mit dem unschuldig-böse blickenden Plüschtier in den sozialen Medien zeigten. Doch hinter diesen augenscheinlichen Zufällen erkennt man ein bekanntes Muster – eines, das lange als Markenzeichen Deutschlands galt:

Geduld, Anpassungsfähigkeit und Mut zu unkonventionellen Lösungen zeichnen Pop Mart und seinen Gründer Wang Ning aus. Pop Mart kennt seit seiner Gründung 2010 zahlreiche Rückschläge. Das ursprüngliche Kaufhauskonzept wurde nach fünf Jahren angesichts der Plattform-Übermacht verworfen. Danach ruhte die Hoffnung kurzzeitig auf der Figur „Sonny Angel“, bis der japanische Markeninhaber die Lizenz abrupt zurückzog. Auch der Börsengang in Hongkong fiel in einen besonders ungünstigen Zeitpunkt: es war 2020. Der Aktienkurs sank unter den Ausgabepreis, der Wertverlust betrug zeitweise mehr als 80 Prozent.

Aber Wang gab nicht auf. Er setzte auf Eigenständigkeit, eigene Kreationen, eigene Marken, eigenen Vertrieb. Mit seiner Philosophie der „emotionalen Resonanz“ reiste er nach Hongkong, Südostasien, Europa und in die USA, um mit internationalen Top-Künstlern zusammenzuarbeiten. Er organisierte regelmäßig ein Festival für „kreatives und trendiges Spielzeug“, um – wie er sagte – „eine große Bühne für die Stars von morgen zu schaffen, die heute noch in Bars singen.“

Vor Labubu versuchte sich Pop Mart mit Figuren wie „Molly“, „Crybaby“, „Skullpanda“ oder „Peach Riot“. Doch der große Durchbruch ließ lange auf sich warten. Wang gab nicht auf. Auch dann nicht, als selbst Labubu in den ersten Jahren ähnlich mäßige Beachtung fand. Stattdessen verfeinerte er den Innovationsprozess mit Künstlern und optimierte das Vertriebsmodell: gleichzeitige Präsenz online und im stationären Direktverkauf. Gegen den allgemeinen Trend des chinesischen Markts erlaubte er nur kontrolliertes Wachstum. Parallel baute er eine Fan-Community mit heute fast 50 Millionen Mitgliedern auf.

Die frühzeitige internationale Ambition war keine spontane Entscheidung. Wang verkündete das Ziel bereits im ersten Jahr, in dem Pop Mart überhaupt Gewinne schrieb: 2018. Im selben Jahr holte er den Koreaner Wen – heute im Vorstand – ins Managementteam. Auch den Hongkonger Künstler Lung nahm er im selben Jahr unter Vertrag. So weit, so gut. So weit, so konventionell.

Doch hier endet die Labubu-Geschichte nicht: In China übernimmt eine neue Generation privater Unternehmer die Führung. Vor ihnen prägten zwei Generationen vor ihnen die private Wirtschaft des Landes. Zu ersten Generation gehörten Unternehmer wie Ren Zhengfei (Huawei, 81), Zhang Ruimin (Haier, 76), Liang Wengen (Sany, 69) oder He Xiangjian (Midea, wozu auch Kuka gehört, 83). Später folgten ihnen Jack Ma (Alibaba, 60), Pony Ma (Tencent, 54), Lei Jun (Xiaomi, 56), Robin Li (Baidu, 57) und Wang Chuanfu (BYD, 59). Sie alle sind die Gesichter des chinesischen Wirtschaftswunders – auch außerhalb Chinas.

In den letzten Jahren konnte man im Westen fast nur noch eine These diesbezüglich lesen: China böte immer weniger Raum und Luft für private Unternehmer. Nun sind viele erstaunt: Denn Wang Ning gründete Pop Mart im Alter von 23. Heute, mit 38, gehört er zu einer wachsenden Gruppe junger Selfmade-Milliardäre, die sich anschicken, Ren und Ma abzulösen. Dazu gehörem Gründer wie Liang Wenfeng (DeepSeek, 38). Wang Xingxing, der Mann hinter den Roboterhunden und -tänzern und -läufern von Unitree, ist 35. Stanford Mao und Miranda Qu gründeten einst Little Red Book (Xiaohongshu). Beide sind 40. Chris Xu von SHEIN ist 41. Zhang Yiming, Gründer von TikTok und ByteDance, ist mit 42 fast schon der Älteste unter ihnen.

Wie ihre Vorgänger stammen auch sie nicht aus einflussreichen Familien. Die meisten haben nicht im Ausland studiert. Viele konnten nicht einmal die Eliteuniversitäten in Chin besuchen. Und doch feiern sie Erfolge – weit über China hinaus. Im gleichen Alterssegment sucht man in Europa vergeblich nach einer vergleichbaren Kohorte. Warum?

* Hier erfahren Sie mehr, warum die Kolumne Wan Hua Zhen heißt und wer der Autor ist: https://www.chinahirn.de/2024/07/08/was-bedeutet-wan-hua-zhen-der-kolumnist-erklaert-und-stellt-sich-vor/

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