Die chinesischen Bezeichnungen für viele große Staaten der Welt enden mit dem Morphem –guó: „Land, Staat“. China heißt Zhōngguó 中国, das „Reich der Mitte“, die USA Měiguó 美国, das „schöne“ Land (tatsächlich ist měi die betonte Silbe von A-me-rika), Deutschland Déguó 德国, das „Land der Tugend“ und so weiter…
Das entsprechende Kurzzeichen 国, das in der VR China seit den 1960er Jahren Standard ist, zeigt das Graphem für Jade 玉 (yù) in einem Kasten 囗, der auch in manch anderen Zeichen eine Einfriedung oder Begrenzung darstellt. In klassischen Texten oder in Taiwan findet sich an Stelle von 国hier jedoch das ältere Schriftzeichen 國, das statt der „Jade“ 玉 das Zeichen 或 enthält. Tatsächlich verweist schon dieses Zeichen 或 für sich auf ein Territorium 口, das mit Waffen 戈 verteidigt wird, entspricht also bereits dem Konzept eines Staatsgebiets. Möglicherweise wegen der Tatsache, dass dieses 或 (heute huò) aufgrund einer Ausspracheähnlichkeit zunehmend und bis heute im Sinne der Konjunktion „oder“ entlehnt wurde, mussten graphische Kennzeichen zur Unterscheidung hinzugefügt werden: So entstanden aus 或 zum einen durch Hinzufügung von „Erde“ 土 das heute noch verwendete Zeichen 域 yù „Region“ sowie zum anderen das phonetisch ähnlichere 國 guó „Staat, Land“, das durch eine zusätzliche Umrahmung 囗gekennzeichnet ist.
Das Kurzzeichen 国 ist jedoch keine Erfindung der Kommunistischen Partei: Kürzungen des komplizierten 國 finden sich schon seit der Tang-Zeit (7. bis 9. Jahrhundert) in informellen Texten. Die revolutionär-christliche Taiping-Bewegung, die 1851–1864 große Teile Südchinas in ihre Gewalt brachte, verwendete dann auf ihren eigenen Münzen grundsätzlich die Zeichen 太平天国 Tàipíng tiānguó („das himmlische Reich der Taiping / des großen Friedens“) und erhob so die graphische Form国 zu ihrem Standard – nicht zuletzt, um sich vom konfuzianischen China abzusetzen. In den 1960ern griffen die Schriftreformer der Kommunistischen Partei diese gewissermaßen „revolutionäre“ und grafisch einfachere Form im Interesse der Literalisierung der Volksmassen wieder auf, um das kompliziertere 國 zu ersetzen.
*Andreas Guder ist Professor für Didaktik des Chinesischen sowie Sprache und Literatur Chinas an der FU Berlin