Eine Serie von Amokläufern und -fahrern erschütterte in den vergangenen Wochen China. In einem Supermarkt in Shanghai wurden drei Menschen mit einem Messer erstochen, in Yixing (Jiangsu) gab es bei einer Messerattacke auf einem Schulgelände acht Tote, in Changde fuhr ein SUV in eine Gruppe von Schülern und in Zhuhai raste ebenfalls ein SUV in eine Gruppe älterer Menschen außerhalb eines Sportcenters. Bilanz: 35 Tote. Politiker, Bürokraten und Bürger sind entsetzt über die mörderischen Taten, ziehen aber unterschiedliche Schlüsse aus diesen Verbrechen. Die Politiker fordern – da unterscheiden sie sich nicht viel von denen im Westen – harte Strafen für solche Attentäter. Zudem verschärfen sie die Sicherheitsvorkehrungen an Orten, wo sich größere Menschenmengen tummeln. Die Bürger hingegen machen sich Gedanken, warum Menschen solche Taten begehen. Und bei der Ursachenanalyse landen sie schnell bei der Erkenntnis, dass viele dieser Täter soziale und psychische Probleme haben. Oft seien es Menschen mit „four lacks and five losses/frustrations” (四无五失人员, siwu wushi renyuan). Zu dieser Gruppe werden Menschen gezählt, die keinen Partner, kein regelmäßiges Einkommen, kein Haus oder Auto haben und keine sozialen Bindungen. Sie haben sich bei finanziellen Engagements verzockt, ihre Beziehung ging in die Brüche und sie sind psychisch krank, leiden zum Beispiel an Depressionen. Sie sind durch das soziale Netz gefallen, das in China ohnehin nicht sehr eng gestrickt ist. Aus dieser Analyse folgen für viele Diskutanten in den sozialen Medien zwei Schlussfolgerungen, um solche Attentate zu verhindern: Erstens eine Ausweitung des sozialen Netzes und zweitens eine bessere Versorgung für psychisch Kranke. Fudan-Professor Qu Weiguo schrieb auf Weibo (zitiert nach China Digital Times): „It is important to establish a social safety net and psychological counseling mechanism.“ Sein Post verschwand jedoch kurz nach der Veröffentlichung. Offenbar sind die Behörden nicht an einer wirklichen Ursachenanalyse interessiert. Sie gestehen zwar ein, dass es in ihrem Land Menschen mit sozialen und psychischen Problemen gibt, aber sie sehen diese nicht als Opfer eines erfolgsorientierten egoistischen Systems, das viele Opfer produziert. Die Politik kuriert deshalb nicht die Symptome (sprich: ein besseres soziales Netz), sondern versucht die Aussenseiter zu stigmatisieren. So sollen verschiedene Städte inzwischen daran arbeiten, Personen zu identifzieren, die unter den „four lacks und five losses“ leiden. Entsprechende Listen soll es bereits in manchen Städten geben. Aber was passiert dann mit diesen Personen? Werden sie beobachtet oder gar weggesperrt? Nein, so löst man die Probleme potenzieller Attentäter nicht.
Info:
Hier ein Artikel in China Digital Times über die Attentate und ihre Folgen: