Mit etwas Verzögerung gab die neue alte EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen am 17. September ihre neuen Mitstreiter bekannt. 26 Kommissare, von jedem Mitgliedsland eine oder einer. So will es die Regel. Das schafft ein aufgeblasenes Gremium, in dem sich einige Portfolios der Kommissare überschneiden. Generell kann man über die neue Kommission urteilen: Mehr Konservative (entspricht dem Wahlergebnis), mehr Ja-Sager (entspricht dem Wunsch von der Leyens) und mehr Osteuropäer (entspricht dem Proporz). Zwei wichtige Posten gehen an baltische Politiker. EU-Außenbeauftragte (also de facto EU-Außenministerin) wird Kaja Kallas (47), die bis vor kurzem noch estnische Ministerpräsidentin war. Sie fährt aus naheliegenden Gründen einen harten Kurs gegenüber Moskau und auch gegen China, das sie als Komplizen Russlands in dessen Krieg gegen die Ukraine betrachtet. Den neu geschaffenen Posten des Kommissars für Verteidigung bekommt der Litauer Andrius Kubilius (67), der zweimal litauischer Ministerpräsident war. Seit dem chinesisch-litauischen Streit um die Eröffnung eines Taiwan-Büros in Vilnius sind insbesondere die baltischen Staaten auf explizit China-kritischem Kurs. Dazu kommt, dass diese drei Staaten sehr Russland-kritisch sind und dementsprechend auch China betrachten. Kubilius ist auch Mitglied der IPAC, einem Gremium China-kritischer Parlamentarier aus der westlichen Hemisphäre (deutsche Vertreter u.a. Reinhard Bütikofer und Michael Brandt).
Ein wichtiger Mann ist, was China anbetrifft, auch Maros Sefcovic (58). Der Slowake und enge Vertraute von der Leyens bekommt das Ressort Handel und wirtschaftliche Sicherheit. Was von der Leyen von ihm erwartet, hat sie in einem Brief (jeder neue Kommissar hat einen Brief von ihr bekommen) geäußert: Er solle „manage trade and economic relations with China in line with our policy of de-risking not decoupling.” Und er solle außerdem “address the spillover of non-market policies and practices, market distortions and overcapacities.”
Eine zentrale Rolle werden auch Teresa Ribera Rodriguez (55), Stéphane Séjourné (39) und Henna Virkunnen (52) spielen. Alle drei sind Vizepräsidenten. Die spanische Sozialistin Ribera, derzeit noch Umweltministerin, hat mit Umwelt und Wettbewerb ein Mammutressort. Sie wird damit teilweise Nachfolgerin der toughen dänischen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Ribera soll sich vor allem der chinesischen Subventionspolitik annehmen. In ihrem Brief an Ribera fordert von der Leyen „to rigorously enforce the foreign subsidies regulation.“ Der Franzose Séjourné, kurzzeitig auch Außenminister seines Landes, kam kurzfristig ins Team, weil sein Landsmann Thierry Breton im Streit mit von der Leyen hingeworfen hatte. Séjourné wird für „Prosperity and Industrial Strategy“ zuständig sein. Die Finnin Henna Virkkunen hat das Ressort „Tech Sovereignty, Security and Democracy”.
Von der Leyen hat die Kommissionsspitze nicht nur personell neu besetzt, sondern sie auch neu strukturiert. Es ist ein hierarchisches Modell geworden. Sechs Vize-Präsidenten gab es zwar schon bisher, aber nun sollen Kommissare an diiese berichten. Kritiker sehen deshalb zurecht in dieser neuen Organisation eine Abkehr vom Kollegialorgan hin zu einer Präsidialstruktur mit einer (all-)mächtigen Ursula von der Leyen. Alberto Alemanno, Professor für EU-Recht an der HEC Paris Business School, sieht eine „transformation from a collegial body into a presidential office. Von der Leyen is completing the presidentialization process that began with Barroso and was pursued by Juncker.”
Was bedeutet das nun alles für die Beziehungen zwischen der EU und China? Unter der starken von der Leyen wird der kritische China-Kurs sicher weitergefahren. Von dem berühmten Dreiklang China als Partner, Wettbewerber und Rivale bleibt fast nur noch der Rivale übrig. Das Decoupling wird forciert. Strafzölle und weitere Sanktionen sind programmiert. Das ist auch der Tenor begleitender Thinktanker. Im Report „Ten Ideas for the New Team” des EU Institute for Security Studies (EUISS) fordert Alice Ekman ein “Recaliberating EU-China Relations”. Alicia García Herrera (Bruegel) bemerkt in ihrem Podcast: „The EU and its member states would do well to accept that there will be no return to the old EU-China modus operandi.” Sie plädiert für mehr Partnerschaften der EU gegen China. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch Wolfgang Ischinger. Er empfiehlt eine engere Kooperation mit den USA gegenüber China. Diese sollte institutionalisiert werden. Im Tagesspiegel fordert er „die Einrichtung eines transatlantischen Koordinierungsmechanismus über China und den asiatisch-pazifischen Raum“. An der Amerikafreundlichen von der Leyen wird das sicher nicht scheiden.
Info:
Hier auf einer Seite eine Übersicht über die neuen Kommissare und ihre Portfolios: https://commission.europa.eu/document/download/df7693e5-834b-49e1-bf36-6a543ddfdf16_en?filename=Poster%20of%20Commissioners%202024%202029.pdf
Hier ist die Studie “Ten Ideas for the New Team”: https://www.iss.europa.eu/sites/default/files/EUISSFiles/CP_185.pdf