Seit Jahren wird beklagt, dass die Chinesen zu wenig konsumieren. Die Konsumrate – der Anteil des Konsums am Bruttosozialprodukt – sei zu niedrig, so lautet der Vorwurf der meist westlichen Ökonomen. In China beträgt sie 37 Prozent, im Schnitt der OECD-Länder hingegen 54 Prozent. Die Diskussion über den unterentwickelten Konsum hat inzwischen auch China erreicht – zumindest die dortige akademische Welt. Dort macht man sich seit Monaten Gedanken, wie man den privaten Konsum ankurbeln könnte. Wang Zichen hat in Pekingnology eine gute Zusammenfassung dieser Diskussion geliefert. Er stellt elf chinesische Ökonomen vor, die alle fordern, dass der Staat die Haushalte entlasten solle, damit diese mehr konsumieren können. Die Wissenschaftler sind durchweg renommierte Wirtschaftsexperten. Einige sind Dean an Universitäten, andere wiederum dienten im Range eines Vize-Ministers in diversen Institutionen oder hatten eine führende Position an der Chinese Academy of Social Sciences (CASS) inne. Hier eine Auswahl der Experten und ihrer Vorschläge:
- Programme für Wanderarbeiter: Liu Shijin (ehemaliger Vizepräsident des Development Research Center) fordert ein milliardenschweres Hilfsprogramm für das Heer der Wanderarbeiter. Er sieht dabei vor allem die Kommunen gefordert. Seine Argumentation: Wenn eine Stadt schon zehn Metrolinien hat, brauche sie nicht noch zwei weitere. Das Geld solle lieber in soziale Programme für Wanderarbeiter investiert werden. Ein Unterstützungsprogramm für die rund 170 Millionen Wanderarbeiter hält auch Zhang Bin (Vize-Generaldirektor des Institute of World Economics and Politics bei der CASS) für notwendig.
- Programme für Familien: Angesichts der geringen Geburtenquote, die ihre Ursache häufig in den hohen Erziehungskosten hat, plädieren einige Experten für eine Entlastung von Familien. Liang Jianzhang (Gründer von Ctrip und Professor an der Guanghua School of Management an der Beida) setzt sich für direkte Zahlungen an Familien mit Kindern ein. Auch Zhang Jun (Dean der School of Economics an der Fudan University) hält das für sinnvoll. Er glaubt auch, dass man dadurch Eltern zu mehr Kindern animieren könnte.
- Ausgabe von Vouchers: Schon seit längerer Zeit wird die Ausgabe von Vouchers (Konsum-Gutscheinen) diskutiert. David Daokui Li (Tsinghua Universität) fordert sie zum Beispiel. Sein konkreter Vorschlag: Zur Goldenen Woche Anfang Oktober, in der die Chinesen traditionell frei haben, Vouchers zu verteilen. Li rechnet mit einem Multiplikatoreffekt: „ Ein Yuan an Konsumgutscheinen könnte zu einem Konsum von etwa vier Yuan führen.“ Li will so eine Summe von einer Trillion Yuan (127 Milliarden Euro) unter die Leute bringen. Noch viel mehr fordert Mao Zhenhua (Professor an der Renmin Universität): Der Staat soll Vouchers im Wert von 10 Trillionen Yuan (1,27 Billionen Euro) ausgeben. Wer soll das bezahlen? Mao sieht zwei Möglichkeiten: Entweder soll das staatliche Defizit erhöht werden und/oder die Gewinne der Staatsunternehmen (SOEs) sollten verwendet werden.
- Ausbau des Sozialsystems: Cai Fang (früher Vizepräsident CASS) plädiert für einen Ausbau des staatlichen Sozialsystems, das nach wie vor nur rudimentär entwickelt ist. Cai hält vor allem eine bessere Altersversorgung für notwendig. Huang Yiping (Dean der National School of Development an der Beida) will ebenfalls eine Ausweitung der staatlichen Sozialleistungen. Das könne aber nur durch einen Kurswechsel in der Politik geschehen: „Die Betonung von Investitionen bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Konsums sollte geändert werden.“ Ob Chinas Führung dazu bereit ist? Huan ist skeptisch. Seiner Meinung nach glaubt Chinas Führung, dass sich viele Chinesen durch vermehrte Transferzahlungen in die soziale Hängematte legen. „Wohlfahrtsstaat macht faul“, pflegt Xi Jinping zu sagen.
Info:
Hier der Beitrag in Pekingnology: https://www.pekingnology.com/p/these-11-chinese-mainstream-economists
Interessant ist auch die Studie der Rhodium Group „No Quick Fixes: China´s Long-Term Consumption Growth“: https://rhg.com/research/no-quick-fixes-chinas-long-term-consumption-growth/