WIRTSCHAFT I Eine neue Idee: Joint-Venture-Zwang für chinesische Firmen

Eines der ersten Gesetze, die Chinas neue Regierung mit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik anno 1978 erlassen hat, war das Joint-Venture-Gesetz. Man wollte zwar ausländisches Kapital und Know-How ins damals wirtschaftlich rückständige Land holen, aber man wollte nicht, dass die ausländischen Firmen dominieren. Und so besann man sich auf das Konstrukt des Gemeinschaftsunternehmens, bei dem die chinesische Seite die Mehrheit behielt, auch wenn es nur 51 Prozent waren. Eines der ersten Joint-Ventures mit deutscher Beteiligung gründeten Volkswagen und SAIC. Viele, viele andere folgten. Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die einen – die Chinesen – bekamen Geld und Technologie, die anderen – die Firmen aus dem Westen – erhielten Zugang zum entstehenden riesigen chinesischen Markt und auch zu den entscheidenden Bürokraten. Die Joint-Ventures waren reine Zweckgemeinschaften und keine Liebesbeziehungen.

Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wurde der Joint-Venture-Zwang nach und nach gelockert. Bereits gegen Ende der 90er Jahre durften in gewissen Branchen ausländische Firmen 100prozentige Töchter gründen, die sogenannten Wholly Foreign-Owned Enterprises (WFOE) gründen. 2019 fiel dann auch in der Autobranche der Joint-Venture-Zwang. Tesla war der erste Profiteur dieser Regelung und konnte seine Giga-Fabrik in Shanghai ohne Partner hochziehen. Aber auch BMW hält seit Februar 2022  die Mehrheit an dem früheren Joint-Venture BMW Brilliance Automotive.

Hintergrund für die Kehrtwende der Chinesen: Sie fühlen sich in vielen Branchen auch ohne erzwungene Hilfe durch Gemeinschaftsunternehmen stark genug. Nun sind chinesische Unternehmen in gewissen Industrien führend. Was bedeutet das für westliche Firmen? Müssen sie nun von ihren chinesischen Counterparts lernen? Sollen wir nun umgekehrt chinesische Firmen in Joint-Ventures zwingen, wenn sie hier auf unsere Märkte wollen? Letzteres ist ein überraschender Gedanke, über den ich zum ersten Mal in einem Artikel der Mai/Juni-Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik las. Ihn verfassten Sebastian Heilmann (Gründungsdirektor des Merics und heute Professor an der Uni Trier) sowie Michael Kaschke (Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft). In ihrem Beitrag „Made with China“ stellen sie fest, dass Deutschland und Europa „unbedingt chinesische Technologien, Forschungsbeiträge und Patente in zentralen Feldern“ brauchen. Zu diesen Feldern zählen sie die „Energie- und Klimatechnologien – von Fotovoltaik, über Windkraft bis hin zu Stromspeichern.“ Zwar würden sich chinesische Unternehmen aus diesen Branchen in der EU ansiedeln. Aber das reiche nicht, schreiben die Autoren und fordern: „Stattdessen sollte Europa von det jahrzehntelangen chinesischen Joint-Venture-Praxis lernen, den Zugang zum europäischen Markt unter der Bedingung erleichtern, dass chinesische Unternehmen bereit sind, ein Joint Venture mit europäischer Mehrheitskontrolle einzugehen.“

Kurze Zeit später erschien am 13. Juni bei Project Syndicate ein Artikel von Dalia Marin, Professorin für Internationale Wirtschaft an der TU München, mit dem Titel „Europe Needs Chinese Investment“. Darin schlug sie im Prinzip das gleiche vor wie Heilmann und Kaschke. Aber sie will den europäischen Joint-Venture-Zwang auch auf die Autobranche ausdehnen: „The EU should reverse engineer China’s industrial policy and require Chinese EV manufacturers to establish joint ventured with domestic c0mpanies in exchange for market access.”

Sind diese Ideen vom umgekehrten Joint-Venture-Zwang nur akademische Gedankenspiele? Oder haben sie schon Brüssel erreicht, wo ja handelspolitische Entscheidungen getroffen werden? Sebastian Heilmann sagt gegenüber CHINAHIRN: „Bis diese Idee auf EU-Ebene Zugang findet, muss der Druck aber wohl noch deutlich steigen.“ Aber er räumt dieser Idee durchaus Erfolgschancen ein: „Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die Chinesen das einfach abschmettern können. Sie haben es ja schließlich selbst mit Erfolg angewendet.“

Info:

Hier der Artikel von Sebastian Heilmann und Michael Kaschke: https://internationalepolitik.de/de/wirtschaft-und-wissenschaftskooperation-made-china

Und hier der Artikel von Dalia Marin: https://www.project-syndicate.org/commentary/how-europe-can-attract-fdi-flows-from-china-by-dalia-marin-2024-06

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