Rund die Hälfte aller chinesischen Kinder lebt in schwierigen Verhältnissen, weil sie Kinder von Wanderarbeitern sind. Knapp 67 Millionen sind sogenannte „left-behind children“. Sie leben in der Regel bei ihren Großeltern, weil die Eltern in entfernten Städten ihr Geld verdienen. Rund 71 Millionen Kinder („migrant children“) sind mit ihren Eltern in diese Städte gezogen, bekommen aber dort oft keine adäquate Bildung. Zusammen sind also 138 Millionen Kinder von der Wanderarbeiter-Bewegung betroffen (die Zahlen beziehen sich auf die Erhebung „Child Population in China 2020: Facts and Data“ vom Nationalen Statistik-Büro und von Unicef). Ihre Probleme und Sorgen werden erst allmählich öffentlich diskutiert. So veranstaltete am 27. April Wang Yong, Direktor des nicht-staatlichen Hongfan Institute Legal and Economic Studies, ein Online-Seminar. Drei Beiträge wurden von dem Blog The East Is Read ins Englische übersetzt und vor kurzem online gestellt.
Zunächst sprach Lu Ming, Professor Antai College of Economics and Management at Shanghai Jiaotong University. Er ist ein Verfechter der Land-Stadt-Migration und Urbanisierungsstrategie. Das bedeutet aber für ihn, dass die knapp 140 Millionen Kinder besser behandelt werden müssen: “Reforming the system to allow more left-behind children to migrate with their parents and receive education in the cities where their parents work would have multiple benefits. It would promote family reunification and significantly improve education quality while aligning with the urbanization process. As these children migrate to cities, they can benefit from the learning effects of urban living, better preparing them for the future labor market and advancing Chinese modernization.” Lu begrüßt die ersten Schritte zur Reform des hukou-Systems und fordert von den Kommunen mit hohem Migrantenanteil höhere Bildungsausgaben.
Die zweite Rednerin Zhang Dandan, Wirtschaftsprofessorin an der National School of Development der Peking Universität (Beida), erzielte besondere Aufmerksamkeit, als sie die Ergebnisse ihrer Studie vorstellte. Ihr Titel ist in eine Frage gekleidet: „Does Being Left-Behind in Childhood Lead To Criminality in Adulthood?“ Sie beantwortet diese selbstgestellte Frage mit Ja. Die Wahrscheinlichkeit, kriminell zu werden, sei bei left-behind-children höher als bei den anderen „normalen“ Kindern. Sie hätten auch eine höhere Neigung zur Spielsucht und zur Aufnahme von Krediten, geraten also eher in eine Überschuldung.
Wei Jiayu, der die NGO Beijing Sanzhi Center for Unpriviliged Children leitet, ging in seinem ausführlichen Beitrag unter anderem auf das Kindheits-Trauma ein, das Kinder erleiden, die ohne Eltern aufwachsen. Meist werden sie von ihren Großeltern aufgezogen, aber das sei kein Ersatz: „Grandparental care is generally less effective than parental care.“
Insgesamt drei Referate, die einen sehr guten Ein- und Überblick über das Phänomen und Schicksal von knapp 140 Millionen Kindern geben.
Info:
Beitrag Lu Ming: https://www.eastisread.com/p/lu-ming-calls-for-better-services
Beitrag Zhang Dandan: https://www.eastisread.com/p/zhang-dandan-very-strong-correlation
Beitrag Wei Jiayu: https://www.eastisread.com/p/part-i-of-wei-jiayu-statistical-discrepancies