WIRTSCHAFT I Wenn alle de-risken…

De-Risking ist das große Modewort. Die EU machen es, die USA auch, und die Chinesen schon länger, nennen es nur nicht so. Alle wollen sie irgendwie ihre heimischen Industrien schützen sowie sicherer und widerstandsfähiger machen. Eine gute und informative Übersicht über die De-Risking-Strategien der drei großen Blöcke China, USA und EU gibt der soeben erschienene Report „Riskful Thinking – Navigating the Politics of Economic Security“, der von der Europäischen Handelskammer in China (EUCCC) und dem Beratungsunternehmen China Macro Group (CMG) herausgegeben wurde.  Dort heißt es: „EU, China, USA – all have been engaged in varying degrees of risk management.“ Aber: „Measures being adopted are quite distinctiv.“

Am längsten verfolgt China eine De-Risking-Strategie, ohne sie freilich so zu bezeichnen. Ungefähr Mitte der 00er Jahre – also um 2005 – begann China sich unabhängiger vom Ausland zu machen. Es fiel das Wort von der „indigenous innovation“, was man salopp mit hausgemachten Innovationen übersetzen kann. Um diese Zeit entstanden – so der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Barry Naughton – auch die ersten industriepolitischen Ansätze in China. Man definierte Industrie und Technologien, in denen man stärker werden wollte und vom Ausland unabhängiger. Verstärkt wurde dieser Ansatz später durch den zunehmenden strategischen Wettbewerb mit den USA, die China von gewissen Technologien (Chips!) abschneiden wollten und dadurch zwangen, eine eigene Chipproduktion aufzubauen – was möglicherweise schneller geschieht als die USA dachten und wünschen.

Die USA sahen sich aus einer Position der Stärke heraus lange Zeit nicht genötigt, eine De-Risking-Strategie zu fahren. Sie fühlten sich als führende Technologiemacht der Welt allen anderen überlegen. Diese Haltung änderte sich allerdings mit dem Aufkommen des Wettbewerbers China, der die USA auch immer mehr technologisch herausforderte. Um ihre Spitzenposition zu halten, schotteten sich die USA immer mehr gegen China ab. Unter Trump wurde das Decoupling genannt, später unter Biden dann De-Risking. Die US-Strategie des De-Risking beinhaltet zwei Elemente: Man will einerseits von China unabhängiger werden, indem man amerikanische Firmen zum – zumindest partiellen Rückzug – aus China bewegen will („Friendsharing“ oder „Nearsharing“). Und zweitens will man die eigenen Industrien im Lande mehr päppeln (siehe die gigantischen Programme wie CHIPS Act oder IRA).

Die De-Risking-Strategie der Europäischen Union unterscheidet sich von der amerikanischen insofern, als bei ihr die zweite Komponente bei weitem nicht so ausgeprägt ist. Den Europäern geht es vor allem um Diversifizierung ihrer Handels- und Investitionsströme, weg von China, weil man nicht von China erpressbar sein will.

Aber was bedeutet es, wenn China, die USA und die EU gleichzeitig solche, wenn auch unterschiedlichen De-Risking-Strategien fahren? Die unangenehme Antwort gibt die oben genannte Studie von EUCCC und CMG: „All strategies represent a retreat to varying degrees from globalisation as we know.“ Es führt also ein Weg von De-Risking zu De-Globalisierung. Und das bedeutet vor allem Gefahr für die Exportnation Deutschland und für den Wohlstand dieses Landes. Gefahr, die vielen Politikern hierzulande noch nicht bewusst zu sein scheint.

Info:

Die Studie „Riskful Thinking“ von EUCCC und CMG kann man hier anfordern: https://europeanchamber.oss-cn-beijing.aliyuncs.com/upload/documents/documents/Riskful_Thinking_Navigating_the_Politics_of_Economic_Security[1175].pdf

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