Im vergangenen März schrieb der Fachverband Chinesisch einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz und die beiden Minister Annalena Baerbock und Christian Lindner. Die Betreffzeile lautete: Gründung einer Bundesakademie für außereuropäische Sprachen. Gleich zu Beginn des Schreibens begründet Andreas Guder, Professor für Didaktik des Chinesischen an der FU Berlin und Vorsitzender des seit 40 Jahren bestehenden Verbandes, die Notwendigkeit einer solchen Institution: „Die Bundesregierung und die Bundes- und Länderbehörden wie auch die deutsche Wirtschaft sind für ihre Arbeit auf eine Vielzahl von kompetenten und vertrauenswürdigen Experten angewiesen, so auch auf ausgebildete Spezialisten, die außereuropäische Fremdsprachen auf einem hohen Niveau beherrschen. An entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten fehlt es jedoch in Deutschland seit Jahrzehnten. Daher möchten wir Ihnen hiermit die Gründung einer Bundesakademie für distante / außereuropäische Fremdsprachen empfehlen.“ Zu diesen distanten Sprachen zählt Guder in der Reihenfolge geopolitischer Relevanz Chinesisch, Arabisch, Persisch/Farsi, Hindi, Japanisch, Koreanisch, Vietnamesisch und Türkisch.
Das Defizit verdeutlichte Guder am Beispiel Chinesisch. An deutschen Universitäten existierten zwar zahlreiche chinawissenschaftliche Studiengänge, die aber nur eine sehr gute Sprachausbildung bis zum Mittelstufenniveau anbieten könnten. Eine umfassende Ausbildung auf höchstem Niveau werde in Deutschland jedoch seit Jahrzehnten nur noch fragmentiert bzw. gar nicht mehr angeboten. Die Folge sei: „Sprachmittler werden inzwischen – jenseits der Dolmetschdienste des Auswärtigen Amtes sowie, in sehr beschränktem Umfang, des Bundessprachenamts – fast ausschließlich von der chinesischen Seite gestellt. Diese lässt ihre eigenen Dokumente in der Weise ins Deutsche wie auch ins Englische übersetzen, wie sie sie selbst gegenüber westlichen Institutionen formuliert sehen möchte.“
Eine Antwort auf dieses Schreiben erhielt Guder nicht. Deshalb legte er in einem Artikel für Cicero am 24. September nochmals nach. Immerhin hat diesen Artikel ein CDU-Politiker gelesen, der prompt Kontakt mit Guder aufnahm. Und so fand der Vorschlag des Fachverbandes Eingang in die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die diese zur China-Kompetenz gestellt hat (siehe CHINAHIRN 76). Dort wird unter Punkt 11 gefragt: „Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Notwendigkeit des Aufbaus einer Bundesakademie für distante Fremdsprachen, vergleichbar mit Einrichtungen wie die National Defense University (NDU) in den USA oder das Institut national des langues et civilisations orientales (INALCO) in Frankreich, die mit der Entwicklung und Bereitstellung der entsprechenden Kompetenzen für die obersten Behörden ihrer Staaten befasst sind?“ Die Antwort der Bundesregierung fällt knapp aus: „Der Aufbau einer eigenen Bundesakademie für distante Sprachen ist derzeit nicht geplant.“
Begründung: Keine. Ich finde, so leicht kann es sich die Bundesregierung nicht machen. Die Diskussion über eine solche Bundesakademie – oder wie immer sie man nennen mag – sollte ernsthaft mit Argumenten geführt werden, insbesondere wenn sich die Politik die Erhöhung der China- und Chinesischkompetenz in der Gesellschaft und auch in den eigenen Reihen auf ihre Fahnen schreibt. Deshalb werde ich in den nächsten Ausgaben von CHINAHIRN vier Institutionen in vier Ländern vorstellen, die zwar in ihrer Struktur unterschiedlich sind, aber trotzdem als Vorbild dienen könnten: Neben den beiden in der Kleinen Anfrage erwähnten Institutionen National Defense University (NDU) in den USA und dem Institut national des langues et civilisations orientales (INALCO) in Frankreich sind das die beiden universitären Einrichtungen School of Oriental and African Studies (SOAS) in London sowie das Leiden Institute for Area Studies (LIAS) in den Niederlanden. Beginnen werde ich in der nächsten Ausgabe mit der SOAS.
Info:
Der Cicero-Artikel von Andreas Guder: https://www.cicero.de/kultur/aussereuropaische-sprachen-anglophonie-chinesisch