OLD CHINA HANDS I Florian Schneider, deutscher Professor in Leiden

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Florian Schneider..

Die niederländische Stadt Leiden reizt zu Wortspielen. Ich verkneife sie mir – bis auf die folgende kleine Ausnahme. Es war kein Leidensweg, den Florian Schneider begann, als der frisch promovierte Sinologe 2009 eine Lecturer-Stelle an der Universiteit Leiden annahm. Im Gegenteil: Es wurde ein Königsweg, denn 14 Jahre später wurde Florian Schneider Professor für Modernes China an der ältesten niederländischen Universität. Sie zählt bei der Sinologie oder – wie es neuerdings heißt – bei den China Studies zu einer der besten Adressen Europas.

Dabei hatte Schneider eine wissenschaftliche Karriere gar nicht im Sinn, als er 1998 sein Studium der Politik, Volkswirtschaftslehre und Sinologie in seiner Heimatstadt Hamburg aufnahm. Er träumte eher von einer journalistischen Karriere. Auslandskorrespondent oder so, am liebsten in Asien. Und Sinologie wollte er erst auch nicht als Hauptfach nehmen. Doch dann absolvierter er bei der legendären Lektorin Ruth Cremerius vor Beginn des Studiums einen propädeutischen Intensivkurs in Chinesisch und entschied: Die Sprache will ich intensiver lernen und er wählte Sinologie als Hauptfach. Während des Studiums, das ihn auch ein Jahr nach Nanjing brachte, liebäugelte er noch mit dem Journalismus, machte Praktika bei Asia Bridge und der Bild-Zeitung. „Aber durch meinen damaligen Professor Michael Friedrich kam ich auf den Trichter, dass mir die akademische Arbeit mehr liegt.“ Er arbeitete nebenher als Tutor und merkte, dass ihm Unterrichten Spaß macht.

So bog er auf den akademischen Weg ein. Schneider promovierte zwischen 2005 und 2008 an der Universität in Sheffield. Danach bewarb er sich um eine Lecturer-Stelle – vergleichbar mit einer Junior-Professur – an der Uni Leiden und bekam sie. „Es war eine Kombination von China und Politik, das passte perfekt“, sagt er. Anfangs dachte er: „Ich mache das ein paar Jahre und dann gehe ich zurück nach Deutschland.“ Doch jetzt ist er immer noch da. Er stieg zwischendurch zum Senior Lecturer auf, wurde Direktor des Leiden Asia Centre und gibt nebenbei noch das Magazin Asiascape: Digital Asia heraus. Und seit September 2023 hat er eine Professur für Modern China. Das ist übrigens ein Lehrstuhl, auf dem prominente Vorgänger saßen – von Anthony Saich (später Harvard) über Axel Schneider (heute Göttingen) bis Frank Pieke (kurzzeitig Merics-Chef).

Warum hätte Schneider Leiden auch verlassen sollen? Die China-Studien dort haben einen exzellenten Ruf. Sie sind Teil der School of Asian Studies, die wiederum Part des Leiden Institute for Area Studies (LIAS) sind. In Europa steht Leiden damit auf derselben Stufe wie die SOAS (School of Oriental and African Studies) in London. Deutschland hat nichts Vergleichbares. Deshalb schauen auch manch deutsche Sinologen neidisch auf die bestens ausgestattete Universität Leiden. Dort hat die School of Asian Studies rund 100 Mitarbeiter. „In der Sinologie haben wir alles von klassischer Geschichte und Philosophie bis zum gegenwärtigen China,“ sagt Schneider, dessen Forschungsschwerpunkte das digitale China, Kultur und Medien sowie ganz aktuell KI sind. Schneider hat allein an seinem Lehrstuhl sieben Mitarbeiter.

Ein Grund für diese relativ komfortable Ausstattung ist, dass sich in den Niederlanden die China-Forschung auf Leiden konzentriert (nur Groningen hat noch eine kleine Sinologie). Expertise und Absolventen aus Leiden sind in der niederländischen Politik gefragt. Es gibt vielfältigen und regelmäßigen Austausch zwischen Leiden und dem nahen Regierungssitz Den Haag. In den Niederlanden sei die China-Diskussion aber nicht so verbohrt wie zum Beispiel in Deutschland, sagt Schneider. In den Niederlanden könne man durchaus auch was Positives zu chinesischen Thematiken sagen, ohne dass man gleich als Anhänger der KPCh denunziert werde. Die deutsche China-Diskussion verfolgt er nur am Rande. Er weiß aber, dass da eine Debatte unter Sinologen geführt wird, zu denen er allerdings wenig Kontakt hat. „Ich bin hier sehr englischsprachig aufgestellt“, sagt Schneider, der – wie viele seiner Kollegen – Seminare und Vorlesungen in Englisch hält.

Aber er beherrscht natürlich Alltags-Niederländisch zum Beispiel beim Small Talk, Einkaufen und Ausgehen. Passende Schlussfrage: Kann man in Leiden gut Chinesisch essen? „Leider nicht“, sagt er, „aber in Den Haag.“ Das seien nur zehn Minuten mit dem Zug. Dort gibt es eine kleine Chinatown. Er muss also nicht, wenn ihn Appetit auf chinesisches Essen überfällt Hunger leiden. Das war jetzt doch noch ein zweites Wortspiel.

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