POLITIK I Wahlen in Taiwan

Es war ein Spektakel, wie es nur taiwanesische Politiker inszenieren können. Im Grand Hyatt Hotel zu Taipeh stritten sich am 23. November die drei oppositionellen Präsidentschaftskandidaten vor laufenden Kameras. Eigentlich wollten sie sich zusammenraufen, um einen gemeinsamen Kandidaten gegen den der regierenden Partei zu präsentieren, doch stattdessen rauften sie untereinander. An Ende des Tages schmiss einer aus dem Trio das Handtuch und die beiden anderen gingen getrennte Wege. So werden drei Kandidaten zur Präsidentenwahl am 13. Januar antreten: Die oppositionellen Herausforderer Hou Yu-ih (für die Kuomintang, KMT, blaues Lager) und Ko Wen-je (für die Taiwan People´s Party, TPP) sowie Lai Ching-te von der regierenden Democratic Progressive Party (DDP, grünes Lager), die derzeit mit Tsai Ing-wen die Präsidentin stellt, die aber nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren darf.  Am 30. Dezember traten die drei Kandidaten zu einer zweieinhalbstündigen Diskussion beim TV-Sender Public Television Service (PTS) an. Dominierendes Thema: Das Verhältnis zur Volksrepublik China. Sie beschimpften sich gegenseitig – wie es sich für einen Wahlkampf gehört. Lai attackierte Hou: „Ich will keinen Rückschritt wie die Kuomintang und kein Vasall des Totalitarismus werden.“ Hou konterte, warb für „Kommunikation und Austausch (mit China)“ und sprach Lai und seine DPP direkt an: „Weil Sie das nicht getan haben, sehen wir eine große Gefahr auf der anderen Seite der Meerenge von Taiwan.“ Lai griff auch den anderen oppositionellen Kandidaten Ko an, weil dieser sagte, China und Taiwan seien eine Familie. Der angegriffene Ko revanchierte sich und nannte die China-Politik der DPP „einen Schlamassel“. Zieht man die Wahlkampfrhetorik ab, bleibt festzuhalten: Im Grunde genommen sind alle drei am Weiterbestehen des Status Quo interessiert. Unterschiede gibt es, wie man diesen Status lebt und managt. Die KMT und auch die TPP (auch wenn deren Absichten etwas diffus sind) plädieren im Gegensatz zur DPP für einen Dialog mit China. Klar ist aber auch: Egal, wie die Wahl ausgeht – über das Verhältnis Taiwan-China wird nicht in Taipeh entschieden, sondern in Beijing und Washington (siehe hierzu auch CHINAHIRN fragt Gunter Schubert). Neben der alles dominierenden China-Politik gerieten die anderen Themen in den Hintergrund, als da wären: schwächelnde Wirtschaft (dieses Jahr wird das Wachstum gerade mal ein Prozent betragen), stagnierende Löhne, die prekäre Energiesituation (Taiwan ist extrem importabhängig), die sinkende Geburtenrate (sie ist mit 1,07 eine der niedrigsten in der Welt) und die schwierige Wohnungssituation. Vor allem viele junge Menschen sind unzufrieden. Diesen Frust greift die Newcomer-Partei TPP auf, die vorgibt, sich mehr um die Menschen zu kümmern. Immerhin liegt ihr Kandidat bei 24 Prozent. Vorne liefern sich die DPP und die KMT ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach den letzten Umfragen von TVBS liegt Lai gerade mal einen Prozentpunkt vor Hou. Es wird also spannend werden am 13. Januar, an dem übrigens auch das Parlament – der Legislativ-Yuan – gewählt wird. Der Ausgang dieser Wahl könnte großen Einfluss auf die künftige Politik haben. Sollte der DDP-Präsidentschaftskandidat gewinnen, muss er mit großer Wahrscheinlichkeit gegen eine KMT/TPP-Mehrheit im Parlament regieren und entsprechende Kompromisse eingehen. Viel wird dann von der TPP abhängen. „Sie dürfte eine Swing-Vote-Politik verfolgen, also für wechselnde Mehrheiten im Legislativ-Yuan sorgen“, so Taiwan-Experte Gunter Schubert, „das könnte den Weg zu zukünftigen Regierungskoalitionen ebnen, und das wäre in der Tat etwas Neues.

Info:

Hier ein Primer des Asia Society Policy Institute (Autorin: Simona Grano): https://asiasociety.org/policy-institute/2024-taiwanese-elections-primer (Er wurde allerdings vor dem Auseinanderbrechen der Opposition geschrieben)

Ebenfalls eine Übersicht geben die beiden Merics-Autorinnen Helena Legarda und Abigaël Vasselier: https://merics.org/sites/default/files/2023-12/231219_Taiwan%20Policy%20Brief_FINAL.pdf

Interessant auch ein Podcast des CNBW mit dem seit langem in Taiwan lebenden Journalisten Klaus Bardenhagen: https://chinaticker.podigee.io/37-wahlen_taiwan-visfreiheit-umweltschutz (ab Minute 18:34).

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