Fast im Jahresrhythmus tauchen in China neue Bezeichnungen für Chinas Jugend auf, die sich vielen bisherigen Gewohnheiten widersetzt. Als Gegenbewegung zur 996-Kultur (von 9 bis 21 Uhr arbeiten und das an sechs Tagen der Woche) entstand 2021 die Kultur des tang ping (躺 平), des Flachliegens. Es folgte die Bezeichnung des neijuan (内 卷), das man Englisch mit involution und Deutsch mit Rückbildung übersetzen kann. Zu Jahresbeginn kursierte dann die vorbildliche Story des Kong Yiji (孔 乙 己), eines Müßiggängers aus einer 1919 entstandenen Kurzgeschichte des bekannten Schriftstellers Lu Xun. Alle diese Bezeichnungen und Klassifizierungen drücken einen Wunsch oder eine Sehnsucht, zumindest eines Teils der chinesischen Jugend aus, nicht mehr so perfekt und widerspruchslos wie bisher zu funktionieren. Dieser Nonkonformismus zeigt sich auch in der neuesten Etikettierung, die man den jungen Chinesen anheftet: Die Jugend des vierfachen Neins (si bu qingnian, 四 不 青年). Sie will kein Dating, keine Heirat, keine Wohnung kaufen und keine Kinder zeugen. Dieses neue Buzzword für die Verweigerungs-Jugendlichen ist keine Erfindung bösartiger Regimekritiker, sondern es taucht in einem Dokument der Kommunistischen Jugendliga auf. Ihr Ableger in Guangzhou hat kürzlich eine Untersuchung unter den dortigen Jugendlichen gemacht und kam dabei zu folgendem Ergebnis: Von den rund 15 000 Befragten würden 1215 in die Kategorie des vierfachen Neins fallen. Diese Verweigerungshaltung ist fatal in den Zeiten der sinkenden Geburtenraten. Es überlagern sich zwei Trends: Der Trend zur Individualität und der zur Selbstverwirklichung. Immer mehr junge Menschen – vor allem Frauen – bleiben bewusst Singles. Hinzu kommen die unsicheren wirtschaftlichen Zeiten, die die jungen Chinesen im Hinblick auf Heiraten und Kinderkriegen nachdenklich machen. Nach den neuesten Juni-Zahlen sind 21,3 Prozent der Chinesen zwischen 16 und 24 Jahren arbeitslos. Die Beida-Professorin Zhang Dandan hält diese offiziellen Zahlen für zu niedrig, schreibt in einem Caixin-Artikel gar von 46,5 Prozent, weil sie die Studenten miteinbezieht. Der Artikel wurde zwar zensiert, aber das grundsätzliche Problem ist dadurch nicht verschwunden: Wie kommen junge Chinesen an einen Job? Die „Volkszeitung“ schlägt in einem Kommentar vor, die jungen Leute aufs Land zu schicken, um dort nützliche Dienste fürs Vaterland zu verrichten. Die Landverschickung von Millionen Jugendlichen hat es unter Mao schon mal gegeben. Entsprechend gering ist die Neigung der jungen Leute, dieses zu wiederholen. Offener sind sie dagegen für den neuesten Trend: „Full-Time-Children“. Wenn sie keinen Job finden, gehen sie zurück ins Elternhaus und machen dort den Haushalt. Und manche lassen sich dafür bezahlen.
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