POLITIK I Die China-Strategie – ein Papier des “Ja, aber…”

Was war das für ein Auflauf, als Mitte Juni gleich vier Minister zusammen mit dem Bundeskanzler vor der Bundespressekonferenz die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung vorstellten. Das war großer Bahnhof. Und nun am 12. Juli, auf den letzten Drücker vor der Sommerpause, die Vorstellung der China-Strategie der Bundesregierung. Aber diese fand nicht vor der Bundespressekonferenz statt, sondern in der Klosterstraße in den engen Räumen des Merics. Das war kleiner Bahnhof. Annalena Baerbock hielt dort eine Rede – ach sorry, das heißt ja jetzt „Impuls“.  Der Kanzler begleitete die Vorstellung des Papiers lediglich aus der Ferne in Form von zwei Tweets mit bekannten Allgemeinplätzen: „Ziel ist es nicht, uns abzukoppeln. Wir wollen aber kritische Abhängigkeiten künftig vermeiden. Mit der China-Strategie reagieren wir auf ein China, das sich verändert und offensiver auftritt. Für uns gilt: China ist und bleibt Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale.“ In der Strategie werden aber diese Elemente des Dreiklangs nicht mehr als gleichwertig angesehen: „Die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs haben zugenommen.“ Dies betonte auch Annalena Baerbock in ihrer Merics-Rede: „Der systemische Rivale tritt immer mehr in den Vordergrund.“ Gibt es da einen Unterschied in der Gewichtung zwischen Baerbock und Scholz? Es ist ja in Berlin kein Geheimnis, dass die beiden in Sachen China nicht immer einer Meinung sind. „Wieviel Olaf Scholz steckt in diesem Papier, wieviel Annalena Baerbock?“ wollte der Korrespondent der Augsburger Allgemeinen bei der Merics-Veranstaltung, wo immerhin drei Journalistenfragen zugelassen waren, von Baerbock wissen. Sie antwortete sehr allgemein, dass das Finden von Kompromissen nun mal zur Demokratie gehöre. Sebastian Heilmann, Gründungsdirektor des Merics und heute Professor an der Uni Trier, bezeichnet in einem Zeit-Online-Interview die Strategie denn auch als „ein Kompromisspapier“. Es ist dieser Geist des „Ja, aber“ oder des „Sowohl als auch“, der durch dieses Papier wabert. Man will weiter mit China zusammenarbeiten, aber die Kooperation irgendwie doch reduzieren. Man will weiter an dem Wachstumsmarkt China partizipieren, aber gleichzeitig sollen die Unternehmen diversifizieren, sich aus China wegbewegen. Das Modewort heißt „De-Risking“. Doch dies sei „ein unscharfer, schillernder Begriff, den Unternehmen völlig anders verstehen als Regierungen“, stellt Heilmann fest. Das Strategiepapier bleibt da allgemein und fordert etwas schulmeisterlich: „Die Bundesregierung erwartet, dass die Unternehmen sich im Rahmen der bestehenden Risikomanagement-Prozesse konkret mit relevanten, Chinabezogenen Entwicklungen, Zahlen und Risiken auseinandersetzen.“ Und dann folgt eine Warnung: „Wir werden uns mit gegenüber China besonders exponierten Unternehmen vertraulich über deren Chinabezogene Risikoanalysen austauschen, um Klumpenrisiken frühzeitig zu erkennen.“ Wie? Müssen die Bosse von VW oder BASF künftig bei Herrn Habeck antanzen, der noch nie in China war (ok, das war jetzt polemisch!), um sich von ihm sagen zu lassen, dass sie zu viel in China investieren? BDI-Präsident Siegfried Russwurm meldete schon mal erste Kritik an: „Bei der konkreten Ausgestaltung einiger Maßnahmen besteht aus Sicht der Industrie noch Diskussionsbedarf, etwa was mögliche Instrumente zur Kontrolle deutscher Investitionen im Ausland anbelangt. Die Gefahr besteht, dass unternehmerische Handlungsdynamik zu weit eingeschränkt und so Wohlstandsgenerierung und Innovation unnötig behindert wird.“ Aber insgesamt fällt das Echo bei den großen Verbänden der Wirtschaft positiv aus. Redet man mit Managern und Unternehmern ist hingegen Verunsicherung zu spüren: Was darf ich noch in China machen? Wo bekomme ich meine Rohstoffe her, wenn China als Lieferant nicht mehr erwünscht ist? Diese Ängste spiegeln sich in einer Stellungnahme des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA) wider, der die Sorgen des Mittelstandes aufgreift und das Strategiepapier heftig kritisiert.

Weil die Wirtschaft in dieser Strategie am meisten gefordert ist, habe ich die entsprechenden Passagen bislang etwas stärker in den Vordergrund gestellt. Auf den 64 Seiten (netto sind es 44 eng bedruckte Seiten) werden noch viele andere Themen behandelt. Hier nur ein paar Stichworte:

  • Die Dialogformate der Bundesregierung mit der chinesischen Regierung sollen fortgeführt werden. Dabei soll der Menschenrechtsdialog mit dem Rechtstaatsdialog zusammengeführt werden.
  • Klimaschutz soll ein Schwerpunkt der bilateralen Zusammenarbeit sein.
  • Eine Staatssekretärsrunde zu China soll eingerichtet werden.
  • Die China-Kompetenz soll natürlich erhöht werden. Aber dafür will man kein Geld ausgeben, denn all die im Strategiepapier genannten Aufgaben dürfen nicht mit Ausgaben verbunden sein. Aber man beschwert sich, wenn China für Chinesisch-Kurse hierzulande Geld spendiert. Noch so ein Widerspruch, noch so ein „Ja, aber…“

Info:

Hier die China-Strategie der Bundesregierung: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2608578/2b2effbc0886ef7ae0b22aaeacf199be/china-strategie-data.pdf

Hier die Baerbock-Rede: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/deutsche-chinapolitik/2608648

Interview mit Sebastian Heilmann (Zeit Online): https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-07/china-strategie-nationale-sicherheit-sebastian-heilmann

Stellungnahme BDI-Präsident Siegfried Russwurm: https://bdi.eu/artikel/news/bdi-zur-china-strategie-derisking-aber-kein-decoupling-diese-strategie-ist-richtig

Die Stellungnahme des BWA: https://www.bwa-deutschland.com/bwa-china-strategie-der-bundesregierung-nicht-im-interesse-des-deutschen-mittelstands

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