Händchenhaltend spaziert ein Paar durch eine Einkaufsstraße in Sichuans Hauptstadt Chengdu. Er trägt ein pinkes Poloshirt zur hellen Hose. Sie ein pinkfarbenes Kleid, an ihrem Arm baumelt ein Dior-Handtäschchen. Ein Fotograf am Rande der Straße nimmt ein Video dieses attraktiven Paars auf und stellt es mit Zustimmung der beiden online. Keine 24 Stunden nach Veröffentlichung des Videos auf Weibo haben die beiden ihre Jobs verloren. Warum? Das Paar ist nicht verheiratet, die Frau an seiner Seite ist seine Freundin, Mätresse, Konkubine – oder wie immer man sie titulieren mag. Solche außerehelichen Beziehungen sind nicht selten in China. Je höher die Ebenen, desto häufiger. Deshalb also die beiden entlassen? Nun, in diesem Falle kam noch etwas Weiteres dazu: die beiden arbeiten im gleichen Unternehmen – bei der Huanqiu Contracting and Engineering Company, einem Tochterunternehmen des staatlichen Energiegiganten Petro China. Er als Top-Manager, sie als Angestellte. Beide waren auf Dienstreise in Chengdu. Spätestens jetzt wurde aus der privaten Affäre ein öffentliches Skandälchen, das sich mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die sozialen Netzte verbreitete. Entsprechende Hashtags wurden auf Weibo von über 200 Millionen Chinesen geklickt. Es wurde über die beiden recherchiert, ihre Namen (Hu Jiyong und Dong Sijiu) wurden genannt, ihre Telefonnummern und Adressen veröffentlicht, ebenso Screenshots ihrer Posts. Dabei kam heraus, dass sie die Tochter eines hohen PetroChina-Managers sein soll und gerne über Luxusreiseziele und teure Handtaschen postet (nebenbei bemerkt: ihre Dior-Tasche, die sie im Video trägt, soll 44 000 Yuan gekostet haben). Es wurde aber im Netzt nicht nur über solche Nebensächlichkeiten diskutiert, sondern auch über Grundsätzliches: Wie weit darf man in die Privatsphäre eindringen? Rechtfertigt der Kampf gegen Korruption diese Art von öffentlicher Denunziation (obwohl der Fotograf kein Paparazzo war, der auf das Paar angesetzt wurde)? Warum brauchte es dieses Video, um den Fall bekannt zu machen, den doch viele im Unternehmen offenbar kannten? Ist es nicht eine scheinheilige Debatte über ein Phänomen, das nach wie vor in der chinesischen Gesellschaft stillschweigend toleriert wird? Fragen über Fragen, aber wenig Antworten. Viele beschäftigten sich mit solchen Fragen erst gar nicht. Sie sind eher am Kleid der Geliebte des Managers interessiert. Auf Taobao wurden sie schnell fündig. Das Kleid kostete nur 618 Yuan (knapp 90 Euro). Über 4000 Bestellungen für diesen „mistress dress“ (小三群xiaosan qun), gingen binnen zwei Tagen ein.
Info:
Hier das Video des folgenreichen Spaziergangs in Chengdu: https://www.youtube.com/watch?v=6FsdVntfZt8
Mitteilung über die Entlassung des Managers (auf Chinesisch): https://mp.weixin.qq.com/s/xwEoz-9Z7MGYKq7224cU5A