KULTUR I Mo Yan lässt Laudatio mit ChatGTP schreiben

Mitte Mai wurde im Shanghai International Dance Centre das 65jährige Bestehen der angesehenen Literaturzeitschrift Shouhuo begangen. Aus diesem Anlass sollte dem berühmten Schriftsteller Yu Hua (u.a. ins Deutsche übersetzte Werke: Leben, Brüder, China in zehn Wörtern) ein Preis verliehen werden. Die Laudatio sollte ein noch berühmterer Autor halten: Mo Yan, Literatur-Nobelpreisträger von 2012 (u. a. ins Deutsche übersetzte Werke: Die Knoblauchrevolte, Das rote Kornfeld und Die Schnapsstadt). Soweit, so gut. Doch dann bekannte Mo Yan in seiner Lobesrede auf Yu Hua, dass er ein paar Tage lang eine Schreibsperre gehabt habe, was freilich für einen Schriftsteller existenzgefährdend ist. Und nun wird es skurril. Mo bat einen Studenten mit Hilfe von ChatGPT einen Text zu erstellen. Mo gab dem Doktoranden ein paar Schlüsselworte, unter anderem zwei Buchtitel von Yu Hua („To Live“ und „The Last City“). Der so gefütterte ChatGPT lieferte eine satisfaktionsfähige Lobeshymne auf Yu Hua ab, die Mo Yan nun in Shanghai vorgetragen hat. Er hätte nun verheimlichen können, dass er den Chatbot für seine Zeilen genutzt hat. Aber er tat es nicht. Ein ungläubiges Raunen ging durch den Saal, als er das freimütig bekannte. Ein Nobelpreisträger, der Texte von ChatGPT schreiben lässt! Mo Yan erkannte die Lawine, die er da losgetreten hatte, und beeilte sich mitzuteilen, dass er alle bisherigen Werke selbst geschrieben habe und das auch zukünftig so zu halten gedenke. Selbstverständlich machte diese Episode in den sozialen Medien schnell die Runde. Viele honorierten die Offenheit von Mo Yan. Einige rieten ihm freilich, einen Anwalt zu nehmen, denn das Nutzen von VPN – Software zum Gebrauch von ChatGPT ist in China strafbar.

Info:

Hier ist das Video von der Veranstaltung in Shanghai: https://www.bilibili.com/video/BV1NV4y1k7Xs/?spm_id_from=888.80997.embed_other.whitelist

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