Wie? In China soll es Intellektuelle geben? Eine Intellektuellenszene, in der widersprüchliche Meinungen und Theorien aufeinanderprallen? Und in der auch noch öffentlich und nicht in geheimen Zirkeln gestritten wird? Nein, das kann doch nicht sein in einem System, wo der große Vorsitzende (manche titulieren ihn auch Dikator) alles vorgibt und bestimmt. Doch, liebe Vorurteiler, das alles gibt es auch in Xis China. Vier Kronzeugen sagen aus: „Viel zu selten kommt bei uns zur Sprache, dass China ein Land mit einer höchst regen intellektuellen Diskussion ist.“ Dem Quartett gehören an: Sabine Dabringhaus, Thomas Duve, Hans van Ess und Albrecht von Kalnein. Sie sind Herausgeber der im Campus Verlag erscheinenden neuen Buch-Reihe „China – Normen, Ideen und Praktiken“. Der erste Band ist gerade erschienen: „Zentrum und Peripherien in der chinesischen Geschichte“ des Shanghaier Historikers Ge Zhaoguang. Zufall oder nicht – just zum selben Zeitpunkt erscheint im C. H. Beck – Verlag ein umfangreicher Sammelband mit dem Titel „Chinesisches Denken der Gegenwart“. Die beiden Autoren Daniel Leese (Sinologie-Professor an der Uni Freiburg) und Shi Ming (ein Autor, den man hier kaum vorstellen muss) stellen darin 21 chinesische Denker – sie benutzen den Begriff Intellektueller nur ungern, weil in der chinesischen Sprache zu diffus – mit „Schlüsseltexten zu Politik und Gesellschaft“ vor. Daniel Leese schreibt in seiner Einleitung: „Die von den Parteimedien dominierte Öffentlichkeit suggeriert Harmonie und Gleichförmigkeit. Unter der Oberfläche des gänzlich intransparenten Parteidiskurses tobt jedoch, vor allem seit Vertiefung der Reformpolitik Anfang der 90er Jahre, ein erbitterter Streit um die richtigen Schlüsse aus der Vergangenheit und den besten Weg zur Modernisierung Chinas.“ Diesen Streit anhand Originaltexte einem deutschen Publikum näher zu bringen, ist ein großer Verdienst. Beide Bücher sind deshalb sehr zu begrüßen.
Info:
Daniel Leese und Shi Ming: Denken der Gegenwart – Schlüsseltexte zur Politik und Gesellschaft, 640 Seiten, C. H. Beck, 29,90 Euro.
Ge Zhaoguang: Zentrum und Peripherie in der chinesischen Geschichte – Dynamische Grundlagen des heutigen China, 238 Seiten, Campus Verlag, 30 Euro.