Die Alibaba Gruppe ist ein Krake, der in der Vergangenheit nach fast allem griff und überall mitmischte. Aus dem einstigen Onlinehändler ist ein gigantisches Konglomerat geworden, das Videos anbietet, Reisen verkauft, Lebensmittel liefert, eine Cloud betreibt und, und… Es gibt kein Online-Business, das Alibaba nicht in seinem Portfolio hätte. 134 Milliarden Dollar Umsatz (Geschäftsjahr 2022/23) machte der Konzern, seine Marktkapitalisierung beträgt 265 Milliarden Dollar. Eine stolze Bilanz für ein 24 Jahre altes Unternehmen, das der legendäre Jack Ma 1999 in Hangzhou gegründet hat.
Mit 24 Jahren ist man in der Regel flügge und will das Elternhaus verlassen. Diese Metapher nutzte Alibaba-CEO Daniel Zhang, als er Ende März eine weitreichende Umstrukturierung des Alibaba-Konzerns ankündigte. „When the kids are grown, they need to leave home to face the market by themselves.” Getreu dieser Aussage spaltete sich die Gruppe in sechs Tochtergesellschaften auf, die künftig auf sich alleine gestellt sein werden. Diese sechs Töchter sind:
Taobao Tmall Commercial Group (die nach neuesten Informationen in Taobao und Tmall aufgeteilt werden soll),
Global Digital Commercial Group,
Local Services Group,
Cloud Intelligence Group,
Cainiao Smart Logistics und
Digital Media and Entertainment.
Diese Unternehmen sollen künftig selbstständig von einem eigenen Vorstand geführt werden. Zhang erhofft sich dadurch mehr Flexibilität für diese Firmen und auch mehr Kapital: „Each company will be allowed to pursue fundraising from third parties and IPOs when they are ready.“ Über die ersten Börsengänge wird bereits spekuliert. Als IPO-Kandidaten werden die Cloud Intelligence Group und die Cainiao Logistic Group gehandelt. Die Analysten der Investmentbanken begrüßen deshalb auch die Aufspaltung des Alibaba-Konzerns. Das taten sie in den vergangenen Jahren immer, wenn ein Konglomerat zerschlagen wurde. Sie folgten der Management-Mode, dass Mischkonzerne per se schwerfällig sind und kleinere Einheiten flexibler und damit auch erfolgreicher. In diesem Sinne spalteten sich viele Gemischtwaren-Konzerne auf. Bestes deutsches Beispiel: Siemens. Der Konzern verabschiedete in den vergangenen Jahren viele Unternehmensbereiche – von Health über Energie – in die Freiheit und brachte sie an die Börse.
Bei Alibaba stellt sich die Frage: Folgt diese Aufspaltung unternehmerisch-strategischem Kalkül oder doch eher politischen Vorgaben? Wir erinnern uns: Die großen Internetkonzerne waren in den vergangenen zwei, drei Jahren unter gewaltigen politischen Druck geraten. Ihnen wurde – nicht ganz zu Unrecht – Monopolverhalten vorgeworfen. Der Partei wurden diese Online-Giganten schlicht zu mächtig – so auch deren Führer, wie Alibaba-Gründer Jack Ma, der ziemlich outspoken ist bzw. war. Seit zwei Jahren zeigte er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit. Er war offenbar außerhalb Chinas.
Doch nun tauchte er just einen Tag vor der Verkündung der Zerschlagung Alibabas in seiner Heimatstadt Hangzhou auf. Das war natürlich kein Zufall: “Jack just didn’t show up in Hangzhou because he was tired of traveling around. I think it was well orchestrated and fits with the government’s campaign to demonstrate that, you know, they are relaxing pressures on their private sectors and are welcoming the rest of the world,” sagte Stephen S. Roach (Yale University) in der CNBC-Sendung “Squawk Box Asia”. Jack Ma hat sich offenbar mit den politisch Mächtigen arrangiert und soll im Hintergrund kräftig an der Aufteilung “seines” Unternehmens mitgewirkt haben, schreibt „The Wall Street Journal“.
Wird Alibaba ein Einzelfall bleiben? Xin Sun, Wirtschaftsexperte beim King´s College in London, fragt etwas konkreter: „Will Tencent, Meituan und ByteDance be broken up too?“ Es war wohl eine rhetorische Frage, denn die Antwort ließ er offen. Klarer war dagegen Merics-Experte Jacob Gunter: „Wir können davon ausgehen, dass auch andere Tech-Giganten neue Strategien ausprobieren werden, um sich den neuen Regeln anzupassen.“ Interessant ist, dass nur zwei Tage nach Alibabas Verkündung der Aufspaltung der größte Konkurrent JD.com den Spin-off seiner beiden Bereiche JD Property und JD Industrials ankündigte. Sie sollen noch dieses Jahr an die Börse in Hongkong gehen. Außerdem soll die JD Logistikgruppe in vier Einheiten (supply chain, express delivery, fast delivery, and international business) aufgeteilt werden.
Ich lege mich fest: Wir werden noch mehr solcher Abspaltungen bei Chinas Tech-Konzernen sehen. Alibaba war erst der Anfang.
Info:
Die Pressemitteilung der Alibaba Group zur Aufspaltung: https://www.alizila.com/alibaba-reorganizes-to-unlock-value/
Die Listing-Mitteilung von JD.com: https://www1.hkexnews.hk/app/sehk/2023/105271/documents/sehk23033004567.pdf