OLD CHINA HAND I Martin Fleischer – Diplomat, Jazzmusiker, Professor

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Martin Fleischer (67).

Im Mai 1987 reiste ein junger deutscher Diplomat zum ersten Mal nach China. Er hatte gerade seine zweijährige Ausbildung beendet, und seine erste Stelle danach war gleich in Peking. Warum? Weil er etwas Chinesisch gelernt hatte.

Ende Juni 2021 räumte der deutsche Generalkonsul in Guangzhou sein Büro und verabschiedete sich von seinen Mitarbeitern in Richtung Ruhestand.

35 Jahre lang arbeitete Martin Fleischer für das Auswärtige Amt. Es war ein pralles Diplomatenleben, das ihn um die halbe Welt und immer wieder nach China führte, welches ihm so vertraut wurde, dass er auch nach seiner Pensionierung dort zumindest einen Teil des Jahres seinen Lebensmittelpunkt hat.

Zu Beginn seiner langen beruflichen Laufbahn hatte er wenig mit China am Hut. Er studierte erst Elektrotechnik an der TU Hannover, wechselte dann ins Lehramtsstudium. Aber er wollte weder Ingenieur noch Berufsschullehrer werden, es zog ihn in die große weite Welt. Hatte er doch, gerade 20 Jahre alt, mit dem selbst ausgebauten VW-Bus den „Hippie-Trail“ durch Iran und Afghanistan bis nach Indien und zurück befahren, und später als Jungingenieur in Saudi-Arabien gearbeitet. „Mehr aus einer Laune heraus“ bewarb er sich für den Auswärtigen Dienst – und wurde genommen. Neben den obligatorischen Sprachen Englisch und Französisch konnten die angehenden Diplomaten während ihrer zweijährigen Ausbildung in Bonn eine weitere der fünf UN-Amtssprachen lernen. Fleischer meldete sich zum Chinesisch-Kurs – und diese Wahl sollte sein berufliches und privates Leben maßgeblich beeinflussen. Denn gleich seine erste Station war die deutsche Botschaft Peking. “Da brauchte man gerade einen jungen Referenten“, sagt Fleischer. Mit Sack und Pack zog er nach China. Das AA erlaubte ihm 200 Kilo Freigepäck. Darin war auch Platz für seinen Kontrabass, der im Leben des Jazzfans Fleischer immer wieder eine wichtige Rolle spielen sollte. Kaum an der Botschaft angekommen, betraute ihn der damalige Botschafter Hannspeter Hellbeck gleich mit einer nicht einfachen Aufgabe: Den Besuch von Kanzler Kohl vorzubereiten. Das war eine heikle Mission, denn Kohl reiste unter anderem auch nach Tibet. Nur zweieinhalb Jahre blieb Fleischer in Peking. Denn nach der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen im Juni 1989 war Eiszeit in den Beziehungen, die deutsche Botschaft wurde ausgedünnt. Fleischer musste nach Bonn zurückkehren. Kurze Zeit später konnte er seine chinesische Verlobte Jasmin nachholen, die er gegen Ende seiner Pekinger Zeit kennengelernt hatte – damals ein Politikum, erinnert sich Fleischer, es war noch kalter Krieg, die Beziehung hätte ihn beinahe seine Verbeamtung und Jasmin die Ausreisegenehmigung gekostet. Nach der Hochzeit in Deutschland folgten Stationen in Nigerias neuer Hauptstadt Abuja („das war unser Härteposten“), in Brüssel bei der deutschen NATO-Vertretung, in Berlin, wo er unter Joschka Fischer das Referat für zivile Krisenprävention aufbaute, und schließlich 2004 in New York bei der deutschen UN-Vertretung. „Dort hatten wir gerade das sprichwörtliche letzte Bild aufgehängt“, erzählt Fleischer, „und dann kam ein Anruf“: Am anderen Ende der Leitung war Volker Stanzel, damals Botschafter in Peking: Er brauche einen chinakundigen Leiter der Kulturabteilung, und das möglichst schnell. „Ich rufe Sie morgen zurück,“ antwortete Fleischer. Es folgten quälende Stunden der Entscheidungsfindung. Einerseits hatte sich Familie Fleischer (die um zwei Kinder angewachsen war) gerade prima in New York eingelebt, andererseits wollte sie gerne wieder nach China. Ihm war klar: „Wenn ich ablehne, bekomme ich vielleicht nie wieder einen Posten in China.“ Also lehnte er nicht ab und ging im Frühsommer 2006 zum zweiten Mal nach Peking, die Familie kam im Sommer nach. Fünf spannende Jahre blieb die Familie Fleischer in Peking. Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren bei weitem entspannter als heute, Fleischer war stark in die Veranstaltungsreihe „Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung“ involviert, ebenso in den Rummel rund um die Olympischen Spiele 2008. Er erlebte mehrere Kanzlerin-Besuche und auch den des Bundespräsidenten. 2011 dann wieder Kofferpacken und zurück nach Berlin ins AA. Dort hatte man das Thema Cyber-Außenpolitik entdeckt, Fleischer sollte einen Koordinierungsstab zu diesem Thema aufbauen und leiten. Er initiierte mehrere Cybersicherheitsdialoge „mit befreundeten und schwierigen Ländern“ (Fleischer). Zu letzteren zählte er auch China. Danach ging es 2014 nochmals nach Brüssel, wo er als Sonderbotschafter an den Thinktank EastWest Institute ausgeliehen wurde. In der Fachsprache betreibt dieses Institut „Track-Two-Diplomacy“, führt also vermittelnde Gespräche ohne offizielle Regierungsbeteiligungen. Fleischer konnte mit seinem Team einen Dialog zwischen Iran und Saudi-Arabien auf Schiene setzen, sowie China in Friedensbemühungen für Afghanistan einbinden.  Drei Jahre arbeitete Fleischer so hinter den Kulissen. Dann stand 2017 seine letzte Station an. Seine beiden Ziele waren klar: „Ich wollte eine Auslandsvertretung leiten.“ Und: „Ich wollte nochmals nach Ostasien, am liebsten China.“ Zur Debatte stand: entweder eine „kleine“ Botschaft oder ein „großes“ Generalkonsulat. Der Zufall wollte es, dass zu der Zeit die Leitungen gleich dreier Generalkonsulate – Guangzhou, Hongkong und Shanghai – ausgeschrieben waren. Er bewarb sich um alle drei und bekam Guangzhou. Die ersten zweieinhalb Jahre seiner Kantoner Amtszeit seien „super“ gewesen: die Kanzlerin kam, der Bundespräsident ebenfalls. Doch dann kam Corona – und die letzte eineinhalb Jahre seiner diplomatischen Laufbahn quälten sich so dahin. Ende Juni 2021 ging er in Pension Doch er und seine Frau blieben in Guangzhou. Sie hatte dort eine Kulturfirma namens InterCulture aufgebaut, er hat im benachbarten Shenzhen eine Honorarprofessur für deutsch-chinesische  Zusammenarbeit in der höheren Berufsbildung angenommen. Und da ist noch die Nummer mit dem Kontrabass. In Guangzhou tritt Fleischer regelmäßig im JZ Club auf, hat zwei Alben und Fernsehshows produziert.

Jazz ist neben der Diplomatie eine weiter Konstante in seinem Leben. Das fing schon damals 1987 in Beijing an. „Es gab keine Bands, keine Clubs“, sagt Fleischer. Es gab keine Jazz-Szene – im Grunde seit der Kulturrevolution – aber gute klassische Musiker und eine beginnende Rock-Szene. Damals machte er Bekanntschaft mit dem inzwischen legendären Rockmusiker Cui Jian, die bis heute anhält. Aber Klassik, Rock und Jazz sind doch verschiedene Welten. So klebte Fleischer Zettel an Bäume und Supermärkte und bot einen Jazz-Workshop an. Im Frühling 1988 hatte er eine Multikulti-Truppe zusammen: „The Swinging Mandarins“. Sie spielten in den Lobbys der ersten Joint-Venture Hotels wie im Jianguo Hotel oder auch im einst von Pierre Cardin gegründeten Edelrestaurant „Maxims de Paris“. Manchmal kam auch die Polizei, nicht als Zuhörer, sondern als Spielverderber.

Fast an jedem Standort danach spielte Fleischer in einer Band mit oder gründete selbst eine: In den Bonner und Berliner Jahren die Jazzband des Auswärtigen Amtes „jAAzz“, in Abuja das „Abuja Jazz Quintett“, in New York spielte er in der „UN Jazz Society“ und in seiner zweiten Pekinger Amtszeit gründete er mit seinen zwei ebenso musikalischen Söhnen „The Cheatles“, die Beatles-Songs mit chinesischen Texten zum Besten gaben. Zuletzt in Guangzhou etablierte er gleich zwei Bands: Das „Guangzhou Soul Project“, und später den „West-Eastern-Divan“, in dem er westliche und chinesische Musik bzw. Instrumente fusioniert.  Überhaupt Guangzhou: „Dort herrscht eine lebhafte Jazzszene“, schwärmt er. Nicht nur deshalb will er dort einen zweiten Wohnsitz behalten. Ihm und seiner Frau schwebt vor, zwischen Deutschland und China zu pendeln: Im deutschen Sommer in Berlin, im deutschen Winter im subtropischen Guangzhou. In Wilmersdorf haben sie eine schöne Wohnung – mit Musikstudio im Keller. Dorthin steht jetzt erst einmal der Umzug an. Die Packer sind für Ende März bestellt.

No Comments Yet

Comments are closed