CHINAHIRN fragt…Wolfgang Georg Arlt, Experte für chinesischen Tourismus

Anfang März fand in Berlin endlich wieder die ITB (Internationale Tourismus Börse) in Präsenz statt. China war auf der größten Tourismusmesse der Welt dieses Mal nur spärlich vertreten. Mit dabei war aber wie immer Professor Wolfgang Georg Arlt, Leiter des China Outbound Tourism Research Institute (COTRI) in Hamburg. Ihn traf ich am Morgen des ersten ITB-Tages zum Frühstück, um über Trends und Perspektiven im chinesischen Tourismus zu reden.

Herr Arlt, können wir hierzulande bald wieder mit chinesischen Touristen rechnen?

Die gute Nachricht ist, dass die Chinesen wild darauf sind, wieder zu reisen. Sie haben sich von dem Thema Corona verabschiedet und den Alptraum hinter sich gelassen. Aber vor dem Reisen gilt es noch einige Hürden zu überwinden. Viele Chinesen müssen erst einmal einen neuen Pass beantragen. Ausländische Botschaften und Konsulate müssen neue Leute einstellen, um die vielen Visaanträge zu bearbeiten. Aber der Normalisierungsprozess läuft schneller als gedacht. Unser Forecast ist, dass dieses Jahr über 100 Millionen Chinesen ins Ausland reisen werden. 2019, also dem Jahr vor Corona-Beginn, waren es knapp 170 Millionen.

Wie viele davon werden nach Europa kommen?

Zunächst fahren die meisten Chinesen zum Urlauben nach Asien. Und viele reisen auch im eigenen Lande. Während der Corona-Zeit sind viele Chinesen im Lande gereist und haben quasi ihr eigenes Land entdeckt. Früher hieß es: Wer im Inland Urlaub macht, ist arm. Jetzt gilt diese Gleichung nicht mehr. Jetzt ist es patriotisch, die Heimat zu erkunden. Es wurde auch viel in den Tourismus investiert. Die Chinesen müssen nicht mehr zum Shoppen nach Paris oder Mailand fahren. Das können sie jetzt im Duty-Free-Paradies Hainan. Sie müssen nicht mehr zum Skifahren in die Alpen fahren, denn Chinas Skiorte haben gewaltig aufgeholt. Die Konkurrenz des innerchinesischen Tourismus ist viel stärker geworden. Das ist eine Erkenntnis, die die europäische Tourismusindustrie erst einmal realisieren muss. Und noch… 

Also keine chinesischen Reisegruppen mehr, die hinter ihrem Fähnchen wedelnden Leiter durch Europas Metropolen ziehen?

Diese Erstbesucher nach Europa wird es weiterhin geben, aber nicht mehr so viele. Denn viele Chinesen, die Geld und Bildung haben, waren schon in Europa. Und diese Gruppe hatte in den vergangenen drei Jahren viel Zeit sich intensiv zu informieren und auch zu träumen. Die wollen jetzt nicht mehr unbedingt nach London, Paris, Rom oder Venedig fahren. Sie wollen neue Länder oder neue Destinationen entdecken. Zum Beispiel neue Länder wie Albanien oder Georgien oder in den klassischen Besucherländern neue Ziele erkunden – Bilbao statt Madrid. Außerdem gibt es bei diesen Touristen die Tendenz zur Natur und entsprechenden Outdoor-Erlebnissen, also Camping oder Caravaning statt Luxushotels. 

Treffen wir also in diesem Sommer auf Chinesen, die auf deutschen Campingplätzen zelten?

Bei uns heißt das Zelten, bei den Chinesen Camping oder – noch besser – Glamping, glamouröses Camping. Und daran zeigen sich schon die unterschiedlichen Erwartungen. Die Chinesen wollen nicht abends zu zweit romantisch am See sitzen, sie erwarten abends Entertainment, am besten in Gruppen. Sie wollen nicht die Nudelsuppe überm Gaskocher erwärmen, sie wollen in einem guten Restaurant speisen. Und für diese Annehmlichkeiten sind sie auch bereit, viel Geld auszugeben. Dieses Beispiel zeigt, dass man Produkte auf die chinesischen Gäste zuschneiden muss. Das setzt allerdings voraus, dass man sich informiert und gegebenenfalls beraten lässt. Wir wissen einfach zu wenig über diesen neuen chinesischen Touristentypus.

Klären Sie uns auf…

Der Chinese tickt anders als der Deutsche. Er schaltet im Urlaub nicht ab wie der Deutsche. In der chinesischen Kultur hat Reisen auch was mit Bildung zu tun. Er will auch im Urlaub lernen und schaut durchaus, ob er aus der ein oder anderen entdeckten Idee ein Business machen kann. Die European Travel Commission, der Dachverband der nationalen Tourismusverbände, nennt diesen Typus „curious people“ und hat speziell für ihn ein Programm aufgelegt. Diese neugierigen Leute, die es natürlich nicht nur in China gibt, sind an europäischer Kultur und Geschichte interessiert. Ihr Vorteil: Sie bleiben länger und geben mehr Geld aus.

Was könnte denn Deutschland diesen Chinese curious people bieten?

In China ist industrial heritage, also Technikgeschichte, ein großes Thema. Da haben wir hierzulande viel zu bieten. Zum Beispiel das Eisenbahnmuseum in Nürnberg. Nachhaltigkeit ist auch en vogue in China, also warum nicht Besucherprogramme zu diesem Thema organisieren? Und, und…

Das sind doch nur Nischen…

Genau dies ist der übliche Reflex. Das sind doch nur Nischen, das lohnt sich nicht. Aber in China sind wegen der gigantischen Bevölkerungszahl die Nischen groß. Es gibt hunderte Millionen Fußballfans in China. Warum also nicht Stadiontouren anbieten? Es gibt 80 Millionen Christen in China – übrigens doppelt so viele wie in Deutschland. Warum nicht für diese chinesischen Christen etwas organisieren?

Alles gut und schön, aber dazu müssen die Chinesen erst mal wieder ins Land dürfen. Tickets und Visa  – Sie haben es eingangs erwähnt – sind derzeit schwerlich zu bekommen. Wann wird das endlich besser?

Das wird sich in den nächsten Wochen ändern. Ich bin optimistisch, dass wir bis Ostern einige Verbesserungen sehen werden. Wenn die Nachfrage steigt, werden auch die Airlines ihre Angebote erhöhen. Aber im Luftverkehr wird es Gewinner und Verlierer geben. Die am schnellsten die Kapazitäten erhöhen können, werden zu den Gewinnern zählen, also zum Beispiel Turkish Airlines, Emirates, aber auch die chinesischen Airlines. Die Lufthansa eher nicht.

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