POLITIK I Charmeoffensive oder Wölfe im Schafspelz

Es war Halbzeit im NBA-Spiel zwischen den Washington Wizards und Orlando Magic. Plötzlich tauchte in der Capital One Arena auf dem Videowürfel hoch über dem Spielfeld ein Herr in grauem Anzug und roter Krawatte auf und sprach ein paar Grußworte zum Publikum: „I wish the Chinese and American peoples a prosperous Year of the Rabbit and a bright future.“ Der Mann, der diese Videobotschaft am 21. Januar, am Vorabend von Chinesisch Neujahr, verkündete, war Chinas neuer Außenminister Qin Gang. Wir erinnern uns: Vor gar nicht allzu langer Zeit, war die NBA liga non grata in China, weil der Manager eines NBA-Clubs sich mit den Demonstranten in Hongkong solidarisiert hatte. Und nun spricht der Außenminister zu einem NBA-Publikum.

Sicher eine nette Petitesse, aber eine mit Symbolcharakter. China schlägt in seiner Außenpolitik neue, freundlichere und versöhnlichere Töne an. Manche Beobachter nennen es schon eine Charmeoffensive. Andere wiederum trauen diesem verbalen Abrüsten nicht und mahnen zur Vorsicht. Hier würden nur Wölfe im Schafspelz auftreten. Eine Anspielung auf die chinesischen Wolfskrieger, wie bis vor Kurzem einige chinesische Diplomaten genannt wurden, die in der Öffentlichkeit ziemlich aggressiv auftraten.

Seit dem 20. Parteitag im Oktober hat sich die Tonlage verändert. Vor allem redet man wieder miteinander. Es begann mit den Besuchen von Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Ratspräsident Charles Michel in Beijing. Dann kam der G20-Gipfel auf Bali, wo Xi Jinping fast im Stundentakt Regierungschefs empfing. „China ist zurück auf der internationalen Bühne“, sagt Ryan Hass (Brookings) in einem Podcast mit Bonnie S. Glaser. Er hat mindestens 25 Treffen Xis mit Regierungschefs seit Ende Oktober gezählt, wobei das wichtigste Treffen natürlich das mit Joe Biden war. Es wird also zwischen China und den USA wieder auf höchster Ebene miteinander gesprochen, wobei zuvor auf Arbeitsebene die Kontakte ja nie ganz abgerissen waren. Kürzlich trafen sich am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos Vizepremier Liu He und Finanzministerin Janet Yellen. Am 5. Februar wird US-Außenminister Antony Blinken für zwei Tage nach Beijing reisen. Es wird sein erster Besuch als Außenminister in China sein, wo er zum ersten Mal auf seinen neuen chinesischen Amtskollegen Qin Gang treffen wird. Ein paar Tage später fliegt Wang Yi, Ex-Außenminister und nun als neues Politbüro-Mitglied Leiter der Zentralen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten der KP, nach München, um an der Münchener Sicherheitskonferenz teilzunehmen, die vom 17. bis 19. Februar stattfindet.Hoher Besuch aus Beijing war dort schon länger nicht mehr anwesend. 

Neben der vermehrten Reisediplomatie gelten auch ein paar personelle Veränderungen als mögliche Indizien für einen vorsichtigen Kurswechsel. Der eingangs erwähnte neue Außenminister Qin Gang und auch der neue EU-Botschafter Fu Cong (siehe auch DOKU) gelten als eher im Ton gemäßigte Vertreter, während Zhao Lijian – einer der Rudelführer der Wolfskrieger – von seinem Posten als Sprecher des Außenministeriums abgelöst wurde.

Wie sind alle diese Veränderungen der vergangenen Wochen zu erklären? Die Financial Times geht in einem langen Artikel vom 10. Januar auf die Suche nach Gründen. Nach vielen Gesprächen mit anonym bleiben wollenden Insidern in Beijing kommen die FT-Rechercheure zu dem Schluss: „A fundamental reset is taking place in Xi´s foreign and economic policies.“ Ähnliches konstatiert Stephen M. Walt (Harvard) in seinem Artikel „Can China Pull Off Its Charme Offensive“ in dem Magazin „Foreign Policy“ (23. Januar). Er zählt eine ganze Litanei von außenpolitischen Fehlern der vergangenen Jahre auf – vom Insel-Aufschütten im Südchinesischen Meer über die Allianz mit Russland bis zum Auftreten der Wolfkrieger. Das habe dem Ansehen Chinas in der (westlichen) Welt geschadet. Walt deshalb: „The need for a reset was obvious.“ Ryan Hass sagt, China will eine Isolation vermeiden und sei deshalb auf Charmeoffensive, vor allem in Europa, wo es sich infolge wirtschaftlicher Abhängigkeiten mehr Verständnis verspreche.

Viele westliche Beobachter stellen eine Änderung im Ton fest, wollen das aber nicht überinterpretieren.  „Politico” zitiert einen hohen EU-Beamten: „We are seeing a warmer Beijing that´s keen to talk about a business-as-usual approach, and there are fewer wolf warrior narratives. However, a softer face doesn´t necessarily mean a softer heart.” Und Helena Legarda (Merics) stellt fest: “Grundlegende Änderungen in der chinesischen Außenpolitik sind unwahrscheinlich, auch wenn sie nicht ganz ausgeschlossen werden können nach der abrupten Abkehr von der Null-Covid-Politik.“

Info:

Stephen M. Walt in “Foreign Policy”: https://foreignpolicy.com/2023/01/23/can-china-pull-off-its-charm-offensive/

Bonnie S. Glaser fragt in einem Podcast Ryan Hass: https://www.gmfus.org/news/chinas-shifting-foreign-policy

Merics-Analyse: https://merics.org/de/merics-briefs/lockerungen-im-tech-sektor-covid-politik-aussenpolitische-charmeoffensive

Artikel in „Politico“: https://www.politico.eu/article/china-diplomacy-liu-he-europe-beijing-davos-world-economic-forum-xi-jinping/

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