OLD CHINA HAND I Matthias Müller, nach 23 Jahren China zurück in Berlin

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Matthias Müller (52).

Matthias Müller ist Berliner. Im Süden der Stadt ist er groß geworden, jetzt wohnt er in Tegel, im Norden der Stadt. Seit eineinhalb Jahren ist Müller wieder in seinem Berlin. Wir schauen in den Tegeler Seeterrassen auf den Tegeler See und blicken zurück auf seine lange China-Zeit. Rund 23 Jahre lebte er in China, mit dem er sich seit 1989 beschäftigt. In jenem Jahr machte er am Evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster Abitur, wollte Publizistik studieren, aber der Numerus Clausus hinderte ihn daran. Er stöberte im Vorlesungsverzeichnis der FU Berlin und stieß auf Sinologie. Er sagte sich in jugendlichem Leichtsinn: Warum nicht? Ein Jahr paukte er für das Sprachpropädeutikum an der FU Chinesisch. Müller: „Es machte Spaß und mich neugierig.“ Er wollte seine Sprachkenntnisse vertiefen. Vor Ort. Aber nicht in „Rotchina“ (wie man damals noch häufig sagte), sondern auf Taiwan. Und Müller landete im Süden der Insel an der Cheng Gong Universität in Tainan. Er wohnte dort in einer Siebener-WG und hatte – wie er sagt – „eine tolle Sprachlehrerin“. Doch nach einem Jahr stellte sich die Frage: Was nun? Sinologie? Eher nein. Noch auf Taiwan hörte er von einem deutschen Kommilitonen, dass es seit kurzem in Ludwigshafen einen Modellstudiengang „Marketing Ostasien“ gebe. Er schrieb sich ein und zog das Studium durch, inklusive eines Aufenthaltes an der damaligen Hangzhou Universität (heute: Zhejiang Universität). Seine Diplomarbeit schrieb er über „Standortanalysen der VR China“. Ein Thema, das ihn bis heute begleitet. Und bis heute pflegt er auch die Kontakte im Alumni-Netzwerk des Ludwigshafener Ostasien Instituts. Aus diesem bekam er auch 1997 den Tipp, in Beijing sei eine Stelle im Delegiertenbüro der deutschen Wirtschaft frei. Für ihn war damals klar: „Ich gehe nach dem Studium nach China.“ 1998 fing er in dem Büro im Landmark Tower an – zuständig für Marketing, PR und Internet. Es folgten spannende und aufregende Jahre, denn das Delegiertenbüro wurde während jener Zeit zu einer Auslandshandelskammer (AHK) aufgewertet gegen teilweisen Widerstand der deutschen Kaufmannschaft, die es damals noch gab. Drei Herren und Damen diente Müller in seinen Beijinger Kammerjahren – erst Jörg Rudolph, dann interimistisch Klaus Grimm und schließlich Jutta Ludwig.  2004 dann gründete der deutsche Reisekonzern TUI ein Joint-Venture. Ziel war es, chinesische Touristen nach Deutschland zu bringen (sogenannter Outbound-Tourismus). Das war für Müller verlockend. Er heuerte als Marketing-Leiter beim Joint-Venture TUI China Travel an. Doch dann kam nach wenigen Monaten der Schock: Das Unternehmen bekam für das Outbound-Business keine Lizenz. Es durfte lediglich als Incoming-Agentur arbeiten, also deutsche Touristen in China betreuen. Das war für Müller keine Alternative. Er musste sich einen neuen Job suchen. Das erfuhr Christian Sommer, den er aus gemeinsamen Zeiten im Landmark Tower kannte. Sommer hatte damals das German Centre in Beijing geleitet. Gleiches baute er nun in Shanghai auf. Sommer holte Müller Anfang 2006 als seinen Stellvertreter nach Shanghai, zuständig für Marketing & Sales. Damals war das German Centre weit draußen in Pudong. „Wir hatten einen holprigen Start“, sagt Müller heute. Doch nach und nach füllte sich das German Centre mit deutschen, aber auch ausländischen Unternehmen. Heute ist das German Centre eine profitable Institution und aufgrund des exorbitanten Wachstums von Pudong inzwischen mitten im Geschehen. 2014 kamen die ersten Gedanken auf, einen Ableger in Taicang zu etablieren. Taicang liegt rund 40 Kilometer von Shanghai entfernt und ist schon seit Jahren ein Standort vieler deutscher Mittelständler. Ein German Centre dort machte Sinn. Ebenso, dass Müller dort Chef wurde. Er betreute das fünfstöckige Projekt von Anfang an: „Ich kenn dort jede Schraube.“ Anfangs holte er Dienstleister (Anwälte, Wirtschaftsprüfer etc.) in das German Center, um den bereits vor Ort befindlichen Mittelständlern den nötigen Service zu bieten. Später zogen weitere Mittelständler ein. „Ich habe das German Center voll vermietet übergeben“, sagt Müller, der 2021 aufhörte und mit seiner zweiten Frau zurück nach Berlin ging, wo seine drei Kinder aus erster Ehe bereits lebten. Was war passiert? Jedenfalls hatte ihn kein China-Koller ereilt: „Ich habe mein Herz an China verloren“. Aber er ging auf die 50 zu. Da macht Mann sich so seine Gedanken. Er entschied: Nochmals was Neues und zurück nach Deutschland. Mit einem chinesischen Unternehmen war er sich einig, deren deutsche Niederlassung aufzubauen. Doch das zerschlug sich. Aber da war er schon in Berlin. Und nun? „Ich habe ein so großes Netzwerk und so viel China-Knowhow“, sagte er sich und gründete im September 2021 sein Beratungsunternehmen MM China Link. Ziel war es vor allem, deutschen Unternehmen beim Markteintritt in China zu helfen. Doch schnell stellte sich heraus, dass bei chinesischen Unternehmen, die nach Deutschland wollen, noch ein größeres Beratungspotential besteht. Ganz zum Schluss, die Sonne ist längst über dem Tegeler See untergegangen, verrät er noch seinen Berater-Traum. Der Fußball-Narr, der einst bei Fortuna Beijing und Shanghai Lions gespielt hat und derzeit in der Ü50 für den 1. Traber FC Mariendorf Berlin kickt, würde gerne seinem Lieblingsverein, Hertha BSC Berlin, zum Markteintritt in China verhelfen. Hertha-Manager Fredi Bobic hat meinen Newsletter – noch nicht – abonniert.

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