OLD CHINA HAND I Matthias Stepan

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Matthias Stepan (40).

Dieses Porträt erschien zuerst in der neuen Serie „Hirns Köpfe“ auf der Homepage von China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW). Das CNBW ist eine Plattform für Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die zu einem besseren Verständnis insbesondere zwischen Baden-Württemberg und China beitragen möchte. Mehr unter: https://china-bw.net/de/cnbw

Der Schwabe Matthias Stepan ist dieses Jahr 40 Jahre alt geworden. Mit dem Erreichen dieses runden Alters wird man – so sagt der schwäbische Volksmund – „gscheid“, also klug oder schlau. Das ist natürlich nur eine symbolische Altersgrenze. Dieses Alter in der Lebensmitte teilt sozusagen den Lebenslauf: In der ersten Hälfte hat man im Idealfall viel Erfahrung gesammelt, so dass man nun in der zweiten Phase kluge Entscheidungen treffen kann. Und viel Erfahrung und Wissen hat Matthias Stepan in seinen ersten 40 Jahren zusammengetragen. Das gilt vor allem für ein Thema: China. Seit seiner Jugend beschäftigt er sich mit diesem Land.
Wie kommt ein Junge aus einem Teilort von Bad Liebenzell im Nordschwarzwald dazu, sich mit diesem fernen Land auseinanderzusetzen? Dort gibt es die Liebenzeller Mission, eine evangelische Missionsgemeinschaft, die früher auch in China unterwegs war. Relikte aus jener Zeit waren im dortigen Museum zu besichtigen. Der kleine Matthias war mehrmals dort, und sein Opa kannte noch verschiedene chinesische Kinderlieder und Verse, die ihm wiederum in seiner Kindheit von einer Missionsschwester, dem China-Gretle, beigebracht worden waren. “Das weckte bei mir das Interesse an China”, sagt Stepan. Schon in der Schulzeit monierte er, dass im Unterricht China wenig (oder gar nicht) stattgefunden hat. Immerhin durfte er im Geschichtsunterricht ein Referat über den Langen Marsch halten.
Wer sich in solch jungen Jahren mit China beschäftigt, hätte eigentlich nach dem Abitur schnurstracks das Studium der Sinologie anfangen müssen. Kurz liebäugelte Stepan auch damit, sich in Heidelberg für Sinologie und VWL zu immatrikulieren. “Doch die Vernunft hat gesiegt”, sagt er heute. Also doch lieber ein Fach, mit dem ein Berufseinstieg leichter sein wird. Also entschied er sich für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz. China verlor er jedoch nicht aus den Augen. Er lernte nebenher in einer AG zweimal die Woche Chinesisch. Im Sommer 2004 reiste er das erste Mal nach China, um seinen besten Kumpel zu besuchen, der in Shanghai ein Praktikum machte. Besonders beeindruckt haben ihn die großen Unterschiede innerhalb des Landes und die Gleichzeitigkeit von Moderne und Tradition. Hinzu kam der Besuch der Insel Putuo Shan mit seinen vielen Tempeln. “Das war Ankommen im wirklichen China” und Kontrastprogramm zum pulsierenden Shanghai.
Die vierwöchige Reise hat ihn so angefixt, dass er nach der Rückkehr entschied: Ich muss da wieder hin – und zwar möglichst schnell. Für ein Jahr schrieb er sich 2006 an der renommierten University of International Business and Economics (UIBE) in Beijing ein. Er machte keine Scheine, er wollte “nur” Chinesisch lernen. Vormittags wurden die Schriftzeichen gepaukt, nachmittags erkundete er Beijing (“Ich habe jede noch so kleine Sehenswürdigkeit besucht”), abends wurde weiter gelernt. “Das war ein heißer Ritt und eine harte Schule.” Jeden Tag gab es Diktate; kommuniziert wurde mit den Mitstudierenden aus Japan, Indonesien, Thailand und Südkorea nur in Chinesisch. Lohn der Qual: “Nach einem halben Jahr machte es Klick.” Es trat dieses Momentum ein, von dem Chinesisch-Lernende immer wieder berichten und ab dem das Lernen leichter fällt. Stepan nutzte dieses Jahr auch zum intensiven Reisen durchs Land – in Bussen oder den alten grünen Zügen. Er kam dort mit Chinesen ins Gespräch, die damals noch neugierig auf Ausländer waren.
“Rückblickend waren die 2000er Jahre die besten Jahre, um China kennen zu lernen”, sagt Stepan. Es war eine gewisse Aufbruchstimmung zu spüren, die in den Olympischen Spielen 2008 und der Expo 2010 in Shanghai kulminierte. Stepan erlebte diese Jahre als Pendler zwischen den beiden Welten. Er machte seinen Master an der Erasmus Universiteit in Rotterdam, wo er sich vor allem mit dem Vergleich der Sozialsysteme in China und Europa befasste. Er machte Praktika bei Daimler und einem von der EU geförderten Projekt zum Ausbau von Chinas sozialem Sicherungssystem in Beijing. Und er promovierte schließlich an der Vrjie Universiteit Amsterdam (VU) – natürlich zu einem chinesischen Thema. Danach gab es unter anderem auch Anfragen chinesischer Unis. Aber er lehnte ab: “Dort herrscht ein ziemlich brutales Leistungssystem, nicht vergleichbar mit unseren Unis.” Der Zufall wollte es, dass in der Stepanschen Findungsphase Ende 2013 ein gewisser Sebastian Heilmann zu einem Vortrag in Amsterdam auftauchte. Man kam ins Gespräch, in dem Heilmann verriet, dass er ein Institut gründen werde. Er – Stepan – solle sich doch bewerben.
Vier Monate später war Matthias Stepan einer der ersten wissenschaftlichen Mitarbeiter am Mercator Institute for Chinese Studies (Merics) in Berlin und war bereits im Sommer im Führungszirkel des Instituts angekommen. Fünfeinhalb Jahre blieb Stepan beim Merics, das sich in dieser Zeit zu einem renommierten Thinktank entwickelte. “Es war eine total spannende Zeit, wir konnten viele neue Formate entwickeln.” In den Anfangsjahren gab es viel Austausch mit chinesischen Wissenschaftlern und Vertretern des Partei- und Staatsapparats, der jedoch zunehmend schwerer und seltener wurde. Für Stepan, der immer für Dialog mit China eintrat, war das eine schwer erträgliche Situation.
So kam es wie gerufen, dass die Stiftung Mercator einen Leiter ihrer Repräsentanz in Beijing suchte. An seinem Geburtstag feierte er seinen Abschied bei Merics. Eine Woche später hielt er seine Antrittsrede bei der Eröffnung des Europäisch-Chinesischen Stiftungsaustauschs 2019 in Beijing. Offiziell war er von den chinesischen Behörden noch nicht bestätigt. Das heißt: Er pendelte zunächst zwischen Deutschland und China. Und dann kam Corona und er verließ Beijing im Februar 2020. Eine Einreise war danach nahezu unmöglich, obwohl seine Berufung inzwischen offiziell bestätigt. So entschieden sich die Stiftung und Stepan im September 2021 für ein neues Teilzeitmodell, das Ende dieses Jahres ausläuft. Stepan betreute fortan den Großteil der Projekte mit China-Bezug der Stiftung und versah die Büroleitung vom Home-Office im Schwarzwald aus. Daneben nahm er eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum an, wo er sich vor allem den Themen China-Kompetenz und Wissenschaftskooperation widmet.
Für Stepan bedeutete diese Neuaufteilung seiner Arbeit viele Reisen im Dreieck Bad Liebenzell – Berlin – Bochum. Wenn er die Stiftung zum Jahresende verlässt und sich in zwei Forschungsprojekten Vollzeit dem Thema “Aufbau von Chinawissen in Deutschland und Europa” widmet, geht er davon aus, dass das Reiseaufkommen im kommenden Jahr sogar noch zunimmt. Aber er macht das gerne, denn er hat viele Ideen, die er umsetzen will. Er ist ja erst 40 – und gscheid.

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