Normalerweise wird der Henry-A.-Kissinger-Preis in Berlin verliehen. Aber diesmal musste der Geehrte – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – nach New York düsen, um den Preis in Empfang zu nehmen. Man wollte dem 99jährigen Henry Kissinger, dem Namensgeber des Preises, eine Reise nach Europa ersparen. Aber dann konnte der diplomatische Altmeister aus gesundheitlichen Gründen auch in New York nicht vor Ort sein. Es wurden lediglich ein paar Grußworte von ihm verlesen. Ex-Außenministerin Condoleezza Rice hielt die Laudatio am Abend des 16. November. Und dann war Steinmeier dran. Er lobte zuerst die transatlantische Freundschaft und kam danach immer wieder auf den 24. Februar, „der die Welt verändert hat“. Als Folge müssten wir uns – so seine Forderung – von alten Denkmustern und Hoffnungen verabschieden. „Wir müssen Lehren ziehen, wir müssen einseitige Abhängigkeiten verringern, das gilt nicht nur für Russland, sondern auch – und erst recht – gegenüber China.“ China habe sich verändert. Auf eine Zeit der Öffnung sei eine Zeit der Verhärtung gefolgt. China folge einer bedrohlichen Philosophie, nämlich China unabhängig zu machen von der Welt und die Welt abhängig zu machen von China. Darauf müssten wir reagieren. Aber wie? „Wir müssen verhindern, politisch und wirtschaftlich verwundbar zu sein. Wir müssen unsere Abhängigkeiten reduzieren, von chinesischen Zulieferungen ebenso wie von chinesischen Rohstoffen. Wir müssen unsere Volkswirtschaften widerstandsfähiger machen. Wir müssen unsere Vernetzung mit der Welt ausbauen, die Chancen, aber erst recht die wirtschaftlichen Risiken nicht in einem Land konzentrieren, sondern auf viele Länder der Welt verteilen.“ Aber immerhin plädiert Steinmeier nicht für das Ende des Austauschs und des Dialogs oder gar der wirtschaftlichen Beziehungen mit China. „China wird schon wegen seiner schieren Größe ein Faktor der Weltwirtschaft bleiben, und wir brauchen Chinas Kooperation im Kampf gegen den Klimawandel.“ Trotzdem: So deutlich hat sich Steinmeier bisher noch nicht gegen China positioniert. Es scheint so, dass der wegen seiner früheren freundlichen Russland-Politik heftig attackierte Ex-Außenminister sich nicht vorwerfen lassen will, zu nett zu China zu sein. Schade, dass Henry Kissinger nicht anwesend war. Er hätte ihm sicher – in freundlichen Worten verpackt – an der ein oder anderen Stelle widersprochen.
Info:
Die Rede Frank-Walter Steinmeiers am 16. November in New York gibt es hier im Wortlaut: https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2022/11/221116-Kissinger-Preis-NY.html