China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Ole Döring (57).
Im April landete Ole Döring endlich in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan. Schon seit einem Jahr hatte er an der dortigen Hunan Normal University eine Professur, aber er konnte wegen Corona bis dato seine Vorlesungen und Seminare nur online von seiner Berliner Wohnung aus abhalten. Das war für alle Beteiligten sehr unbefriedigend. Seit Frühjahr kann Döring nun endlich seinen Studenten in Seminaren und Vorlesungen gegenübersitzen.
Wie kommt ein deutscher Professor nach China? „Indem er sich bewirbt“, sagt Döring lapidar. Auf einer Mailingliste hat er von dem Job erfahren, sich informell beworben – und dann ein Dreivierteljahr nichts gehört. Dann wurde er um eine formelle Bewerbung gebeten. „Danach ging es sehr schnell“. Man einigte sich über die Einstufung, die Deputate und das Gehalt. Der Vertrag läuft über drei Jahre.
Döring ist es gewohnt, häufiger den (räumlichen, nicht den geistigen) Standort zu wechseln. Er hat bereits an vielen in- und ausländischen Hochschulen als Privatdozent und Gastprofessor unterrichtet. Berlin (FU und Charité), Bochum, Bremen, Hongkong, Lüneburg und Potsdam waren unter anderem seine Stationen. Diese ungewollte Wanderlust hat wohl auch damit zu tun, dass es das Fach, das er gerne fest unterrichten würde, an keiner deutschen Universität gibt: Chinesische Philosophie. Döring kämpft zwar dafür, aber bislang vergeblich.
Die Kombination China und Philosophie beschäftigt ihn seit Studienbeginn. Ende der 80er studierte er erst in Tübingen, später in Göttingen Philosophie und Sinologie. Er forschte dann am Institut für Asienkunde an der Hamburger Rothenbaumchaussee mit dem Schwerpunkt Humangenetik und Ethik in China. 2003 erfolgte die Promotion an der Ruhr-Universität Bochum und 2012 schließlich die Habilitation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sein Themenspektrum, über das er lehrt und schreibt, ist breit. Es reicht von chinesischer Philosophie über Medizin- und Bioethik bis Kulturhermeneutik.
Das sind zum Teil auch die Themen, die er an der Hunan Normal University lehrt, wo er dem Foreign Studies College zugeordnet ist. Sechs Stunden muss er laut Vertrag die Woche unterrichten. Derzeit sind es allerdings zehn, weil er in seinen ersten beiden „Corona-Semestern“ online weniger unterrichtet hatte, und weil er auch derzeit am Aufbau einer Germanistik mithilft. Er hat unter anderem eine Vortragsreihe über angewandte Hermeneutik, ein Seminar über die formalen Aspekte einer wissenschaftlichen Arbeit – und chinesische Geistesgeschichte. „Wie, ein Deutscher erzählt etwas über uns?“ fasst Döring die anfänglichen Bedenken seiner Studenten zusammen. Aber diese seien längst in Interesse und Neugier umgeschlagen. Doering unterrichtet in seinen Seminaren, die zwischen 25 und 90 Studenten besuchen, in Englisch. Das hemmt manchmal die Diskussion, aber er attestiert den Studenten großen Arbeitseifer. Und wie geht er mit den allgegenwärtigen Kameras in den Unterrichtsräumen um? Er lacht: „Die sind eh meist kaputt.“ Im Ernst: „Sie interessieren mich nicht, ich sage hier, was ich denke.“ Bisher hatte er keine Probleme.
Döring wohnt nicht auf dem Campus, sondern drei Metrostationen entfernt in einem Apartment in der Nähe des Flusses. Dort geht er auch regelmäßig Schwimmen und trifft dabei auf Einheimische, mit denen er versucht in Kontakt zu kommen. „Ich habe mir hier ein großes Netzwerk aufgebaut“, sagt Döring. Darunter sind auch ein paar wenige Deutsche. Besonders schätzt er das Markus Hofmüller (auch ein Sinologe) und seine chinesische Ehefrau Hannah , die in diesem Frühjahr „Bach´s Bakery“ übernommen haben und dort – wie ihre Vorgänger, das Ehepaar Brutzer – nur behinderte Menschen beschäftigen. Aber Döring hofft, das Weihnachtsgebäck dieses Jahr bei seiner Familie in Berlin genießen zu können. Derzeit kommuniziert er mit Frau und Kindern mehrmals die Woche per Skype und WeChat. Trotz dieser Erschwernisse will er sein Changsha-Engagement fortsetzen: „Ich denke darüber nach zu verlängern.“