In Chongqing, der Megastadt am Yangtse, war es an diesem 10. Oktober Mitternacht, als sich Hongjian Duan (29) und Zhenyu Yang (23) das Ja-Wort gaben. Sie tauschten die Ringe aus und küssten sich. Es war eine ungewöhnliche Hochzeit. Denn erstens waren die beiden Getrauten Männer. Und zweitens saß der „Standesbeamte“ ein paar tausend Kilometer weiter östlich in Provo im US-Bundesstaat Utah. Dort hat sich das Utah County Marriage License Office auf gleichgeschlechtliche Hochzeiten spezialisiert. Für rund 100Dollar wird man dort zum Ehepaar. Mindestens 200 chinesische Paare aus der Volksrepublik und Hongkong haben sich inzwischen in Utah getraut, sich zu trauen. Natürlich wird diese Ehe in China (und Hongkong) nicht anerkannt, denn die gleichgeschlechtliche Ehe ist dort nach wie vor illegal. Das wissen auch die beiden frisch Vermählten. Ihnen geht es um die Symbolik – und das Gefühl, in anderen Ländern als normal zu gelten.
In China ist Homosexualität seit 1997 nicht mehr illegal, aber die Diskriminierungen sind nach wie vor allgegenwärtig. Nicht nur gegenüber Schwulen und Lesben, sondern gegenüber allen Angehörigen der LGBTQ-Community. Das hätte sich in den vergangenen Jahren noch verstärkt, sagte Yaqui Wang, Human Rights Watch Senior China Researcher, soeben in einem Bloomberg-Interview. Viele Webseiten auf WeChat und Weibo seien geschlossen worden, das größte Event der Szene – die Shanghai Pride – wurde 2020 gecancelt. An der Tsinghua Universität wurden zwei Studenten, die Regenbogen-Flaggen verteilten, disziplinarisch belangt. Und in den Medien wird gegen die sogenannten „sissy boys“ gewettert, verweichlichte Männer, die gar Makeup benutzen. Die Führung propagiert eine maskuline Kultur und die heterosexuelle Ehe, schließlich braucht das Land mehr Kinder. Dieses Klima provoziert immer wieder dramatische Fälle wie jüngst den Selbstmord des jungen Kunststudenten Gao Yan in Shandong. Der begabte Tänzer, der auch schon im Fernsehen aufgetreten war, nahm eine Überdosis Alkohol, Pillen und Insektizide, weil er sich von seinem Vorgesetzten aufgrund seiner Homosexualität diskriminiert fühlte. Während im öffentlichen Raum die Ressentiments weiterhin bestehen, scheint sich in den privaten Räumen mehr Verständnis für die Andersartigkeit zu entwickeln. So schrieb Zhijun Hu, Gründer von Parents, Family and Friends of Lesbians and Gays (PFLAG), soeben in einem ChinaFile-Beitrag: „While public space is shrinking, I have seen more and more gay people find support among their families and friends.” Bei der eingangs beschriebenen Hochzeit in Chongqing waren beide Eltern da – und freuten sich über das Glück ihrer Söhne.
Info:
Hier das Bloomberg-Interview mit Yaqiu Wang über die Situation der chinesischen LGBTQ-Szene: https://www.bloomberg.com/news/videos/2022-10-07/lgbtq-rights-in-china-ahead-of-the-party-congress-video
Hier der Beitrag von Zhijun Hu in ChinaFile:
The China Project hat eine regelmäßige LGBTQ-Kolumne: https://thechinaproject.com/tag/lgbtq/