POLITIK I Die deutsche China-Strategie

Die Beamten im Auswärtigen Amt sind derzeit schwer beschäftigt. Gleich zwei wichtige zukunftsweisende Papiere müssen sie derzeit erarbeiten. Erst eine Nationale Sicherheitsstrategie, und dann noch eine China-Strategie. Die erste soll zum Jahresanfang 2023 veröffentlicht werden, die zweite im Laufe des Frühjahrs. Der Zeitplan wurde im Koalitionsvertrag vorgegeben. Dort heißt es: „Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen.“ Federführung hat das Auswärtige Amt (AA). Noch werden im Haus am Werderschen Markt fleißig die Statements der anderen Ministerien, der Fraktionen, der Thinktanks und Experten gesammelt, die Townhall Meetings der Ministerin im Sommer ausgewertet, und, und…

Was genau in den Papiern stehen wird, ist natürlich noch nicht klar, aber die Richtungen schon. Denn erstens wird die Strategie der Bundesregierung nicht großartig von der EU und der NATO abweichen. Beide Institutionen haben ja bereits dieses Jahr ihrerseits richtungsweisende Strategiepapiere vorgelegt: die EU am 21. März ihren „Strategischen Kompass“ und die NATO am 30. Juni ihr „2022 Strategic Concept“. Und zweitens hat Außenministerin Annalena Baerbock bereits in diversen Reden anklingen lassen, wie sie tickt und was sie von einer solchen Sicherheitsstrategie erwartet. Das hat sie zuletzt bei zwei Reden Anfang September anlässlich der 20. Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen getan (früher hieß das mal schlicht Botschafterkonferenz, kurz BoKo). Aus beiden Reden habe ich die China-relevanten Teile herausgefiltert:

  • Wir sehen, wie autoritäre Regime in vielen Teilen der Welt versuchen, ihre Einflusssphären auf revisionistische Weise auszuweiten, und zwar nicht nur mit militärischer Gewalt, sondern durch wirtschaftliche Deals, die vermeintlich schnell und billig sind, aber verbergen, was das vielfach wirklich bedeutet: nämlich Knebel langfristiger Abhängigkeit. Das ist eine neue Herausforderung, auf die wir auch im Rahmen der neuen China-Strategie Antworten finden werden.
  • Als Exportland setzen wir weiter auf Offenheit und Vernetzung. Aber wir setzen uns auch damit auseinander, wovor viele hierzulande zu lange die Augen verschlossen haben: Interdependenz birgt auch Risiken. Und auf Handel folgt nicht automatisch demokratischer Wandel.
  • Für mich ist daher klar, dass die 2020er Jahre ein entscheidendes Jahrzehnt für das deutsche und europäische Wirtschaftsmodell sein werden.
  • Wir stärken in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands wirtschaftliche Resilienz. Denn Verlässlichkeit ist die beste Garantie gegen Ausfallrisiken, gegen unliebsame Überraschungen.
  • Wir sind nach wie vor abhängig von Partnern, die diese Verlässlichkeit nicht anbieten. Corona hat uns schmerzlich gelehrt, wie empfindlich unsere globalen Lieferketten und unser Außenhandel sind. Wir müssen verlässliche Partner haben. Das Prinzip Hoffnung „mit diesen autokratischen Regimen wird es schon nicht so schlimm werden“ – das können wir uns nicht ein zweites Mal leisten. Und daher ist Teil der Nationalen Sicherheitsstrategie als ausgelagerte eigenständige Strategie erstmalig auch eine China-Strategie. Der deutschen Bundesregierung und mir ist wichtig, dass wir dort im gemeinsamen Gespräch auch das, was wir aus unserer Russlandabhängigkeit gelernt haben, in der China-Strategie verankern. Große Industrievertreter haben in den letzten Jahren dazu schon unterschiedliche Aufschläge gemacht. Das fließt in unseren Prozess mit ein. Sie sind mit dem Wirtschaftsministerium im engen Austausch. Aber wichtig ist, dass wir auch hier die Augen nicht davor verschließen, was derzeit passiert und dass Dinge, die vor zehn Jahren mal waren, heute anders sind.
  • Wir können uns … nicht das Prinzip nochmal leisten, nur nach dem „Business First“- Credo zu handeln, ohne dabei die langfristigen Risiken und Abhängigkeiten einzurechnen. Daher ist für uns, für das Auswärtige Amt, für die deutsche Bundesregierung klar: Je breiter sich die deutsche Wirtschaft aufstellt, desto stabiler ist sie. Es gibt gerade im pazifischen Raum viele Länder, mit denen sich eine Zusammenarbeit lohnt. Nicht ohne Grund verlegt Apple gerade einen Teil seiner Produktion nach Vietnam.
  • Chinas Anteil an der weltweiten Produktion von Schlüsselelemente für Solarpanels, Polysilizium und Wafer wird nach Angaben der Internationalen Energieagentur bald 95 Prozent betragen. Auch das werden wir bei unserer Sicherheitsstrategie mitdenken müssen. Nicht nur die Rohstoffe, sondern auch die Vorprodukte. Denn zur ökonomischen Souveränität der EU gehört, dass wir unsere Märkte sicher machen. Dass wir nicht allein von einem Akteur abhängig sind und dass wir unsere Märkte vor unfairem Wettbewerb schützen.“

Fazit: Der Umgangston mit China wird rauer. China wird fast nur noch als systemischer Rivale gesehen. Der Wirtschaft wird empfohlen, sich unabhängiger von China zu machen und in andere Märkte zu diversifizieren. Dass Frau Baerbock expressis verbis Vietnam empfiehlt, verwundert etwas, weil dieses Land sich in seinen politischen Strukturen nicht von China unterscheidet.

Info:

Eröffnungsrede von Annalena Baerbock am 5. September auf der 20. Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/boko-2022/2549926

Die Rede Baerbocks beim Wirtschaftstag der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen am 6. September: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/wirtschaftstag/2550254

Die beiden bereits verabschiedeten Strategiepapiere von EU und Nato gibt es hier:

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