China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Marianne Friese (59).
Dieses Porträt erschien zuerst in der neuen Serie „Hirns Köpfe“ auf der Homepage von China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW). Das CNBW ist eine Plattform für Politik. Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die zu einem besseren Verständnis insbesondere zwischen Baden-Württemberg und China beitragen möchte. Mehr unter: https://china-bw.net/de/cnbw
Im Januar 2020 saß Marianne Friese wehmütig im Flugzeug von Beijing nach Berlin. Sie hatte nach fast 20 Jahren in Chinas Hauptstadt ihre Wohnung samt Büro vorerst aufgegeben, weil sie sich mit ihrem Vermieter nicht auf eine Verlängerung einigen konnte. “Aber im April komme ich wieder zurück, dann geht es irgendwie weiter”, so dachte sie zumindest. Denkste! Wie so viele hatte sie das Virus unterschätzt: “Ich glaubte erst, das wird wie damals SARS.” Aber dem war nicht so, wie wir jetzt wissen. So ist sie seit über zwei Jahren in Berlin, wo sie und ihre Beratungsfirma – die Marianne Friese Consulting – ihr zweites Standbein hat. Und so treffen wir zwei Schwaben uns ausgerechnet in einem Restaurant im Prenzlauer Berg, der für seine Schwaben-Toleranz nicht gerade bekannt ist. Aber der Abend verlief ungestört, weil in der Ecke Berlins fast eh nur Ausländer unterwegs sind.
Marianne Friese nennt sich Wanderschwäbin im Gegensatz zur Hockschwäbin, die lebenslang im Ländle verharrt. Geboren in Bad Cannstatt, aufgewachsen in Beihingen a. N. (heute Ortsteil von Freiberg a. N.), Abitur in Leonberg und Wirtschaftsingenieur-Studium in Stuttgart – das klingt zunächst sehr heimatverbunden. Aber danach musste sie raus in die große, weite Welt. Warum? “Es ist vor allem die Neugier, die mich umtreibt.” Sie ging nach Kalifornien, machte dort Ende der 80er Jahre ihren Master in Communication and Media Studies. Über zehn Jahre arbeitete sie danach bei der amerikanischen PR-Agentur Ketchum, stieg dort zur Deutschland-Chefin auf und verantwortete als Partnerin gleichzeitig auch den weltweiten Geschäftsbereich Brand Marketing. Doch irgendwann drängt es die Wanderschwäbin wieder ins Ausland. Die global operierende Agentur bot ihr China an, wohl in der Hoffnung, dass sie das nicht annehmen würde ..Friese aber sagte ja und wechselte 2001 nach China, wo sie zuvor nur zweimal privat war. “Ich trat völlig unvoreingenommen und angstfrei an diese neue Aufgabe heran.” Ihre Großmutter dagegen ängstigte sich: “Mädle, so weit weg.” Aber die Enkelin konnte sie nach ein paar Wochen beruhigen: Es gibt hier auch Spätzle und Maultaschen, allerdings “a bissle kleiner”. In Beijing sanierte sie die Ketchum-Niederlassung, verdreifachte den Umsatz, um sich aber nach drei Jahren ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen. Vielleicht die wichtigste: Will ich weiter in einem Konzern arbeiten oder mein eigener Herr bzw. meine eigene Frau sein? Sie entschied sich für Letzteres und gründete 2004 das Beratungsunternehmen Marianne Friese Consulting, das deutsche Unternehmen bei Strategie und Wachstumsprojekten in China unterstützt. Ein Referenzkunde war einst Jägermeister. Der Kräuterlikörhersteller aus Wolfenbüttel haderte mit Image und Namen in China. Ma Li Lian – so der chinesische Name von Marianne Friese – verpasste Jägermeister einen neuen Namen: Ye Ge – Wilder Typ. Inzwischen hat die Consulting-Boutique mit Büros in Berlin und Beijing vielen deutschen Unternehmen in China geholfen. Friese pendelte jahrelang zwischen beiden Städten und machte immer wieder Abstecher in andere asiatische Länder. Japan zum Beispiel liebt sie besonders. “Ich bin schon seit über zehn Jahren eine digitale Nomadin”, sagt sie.
Die vergangenen beiden Jahre verbrachte sie Corona-bedingt in Berlin. Es war auch eine Zeit zum Nachdenken, wie es mit ihr und dem Unternehmen weitergehen kann. Sie fand mit Anja Ketels eine agile Sinologin, die der Beratung einen neuen Drive gibt. Gemeinsam arbeiten Marianne Friese und Anja Ketels momentan von Berlin aus an der Weiterentwicklung von MFC. Aufbauend auf ihrer gemeinsamen China-Expertise und Erfahrung haben sie das Unternehmen in einen Start-up-Modus überführt. Sie setzen dabei auf Recherche, Strategie-Entwicklung und Projekt-Management für Kunden, vorrangig aus dem deutschsprachigen Raum. Und Friese bastelt an der Erfüllung eines Traums: “Ich möchte gerne als Aufsichtsrätin und Beirätin bei mittelständischen Unternehmen mit Aktivitäten in China meinen Erfahrungsschatz weitergeben.” Dazu hat sie bereits ein Zusatzstudium für Aufsichtsrätinnen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin absolviert. “Viele Freundschaften. Ich verstehe mich mit Chinesen sehr gut, weil ich mich stets auf das Give-and-Take eingelassen habe”, sagt Marianne Friese. Eine besondere kulinarische Rolle spielt dabei “Meister Wu”, wie sie ihn nennt. Der aus Lanzhou stammende Koch in einer Uni-Küche Beijings beherrscht die hohe Kunst des Nudelziehens. Das sollte er ihr auch beibringen. “Als ich ihn nach ein paar Übungsstunden fragte, wie lange man denn brauche, um das zu können, sagte er: “Bei täglichem Training ein halbes bis ein Jahr.” Sie beschloss daher: Nudeln einfach nur essen! Stattdessen engagierte sie ihn immer, wenn es in Beijing eine Party zu feiern gab. Vor zehn Jahren ließ sie ihn sogar zu ihrem 50. Geburtstag nach Berlin einfliegen. Ein Auftritt war auch für den erneuten runden Geburtstag in diesem Jahr geplant. Aber Corona wird das leider verhindern. Auf jeden Fall wird der Sekt von einem Weingut am Neckar sein – so viel ist schon sicher!