HU IS HU? Gerd Kaminski, Österreichs bekanntester China-Experte

Kürzlich bei der Vorstellung des neuesten Buches von Gerd Kaminski im Presseclub Concordia behauptete ÖRF-Moderator Raimund Löw doch tatsächlich, dass dies sein 85. Werk sei. Da musste ihn Gerd Kaminski aber sanft korrigieren: Nein, es sei Nummer 90. Sieht man von ein paar juristischen Werken des habilitierten Völkerrechtlers ab, handelten fast alle seine Bücher von China. Die Bandbreite seiner Themen ist enorm: Von Erotik im alten China über chinesische Lebensbräuche bis zum Boxeraufstand. Und nun also die Nummer 90: „China und die gelbe Gefahr“. 544 Seiten, fast zwei Kilo schwer. Gerd Kaminski (79) ist freilich mehr als nur ein unermüdlicher Buchautor. Der gebürtige Wiener war und ist Berater vieler österreichischer Regierungen in Bezug auf China. Er ist sicher Österreichs bekanntester China-Experte, auch wenn nicht alle – vor allem in den Medien – seine differenzierenden Einschätzungen teilen. Man könnte ihn als graue Eminenz bezeichnen. Da greift er sich ans schüttere Haar und sagt: „Sie sind weiß.“ Nein, den Begriff graue Eminenz mag er nicht. Aber was ist er dann? „Ich bin ein Bemühter“, sagt er. Ein heutzutage altmodischer Begriff. Einer, der sich um ein besseres Verständnis von und ein besseres Verhältnis zu China bemüht. In Deutschland würde man so jemanden einen China-Versteher nennen bzw. schimpfen. Er versteht China seit rund 60 Jahren. Seine Entdeckung Chinas begann in der sechsten Klasse des Gymnasiums mit einer Brieffreundin aus Hongkong. Und etwas später erblickte er bei einem Spaziergang durch Wien im Schaufenster des Buchladens der KPÖ die Zeitschrift „China im Bild“. Er abonnierte sie. Neben seinem Jurastudium fing er noch bei Xu Zhixiu am Orientalischen Institut der Uni Wien an, Chinesisch zu lernen. Bei ihr („diese Frau war ein Schatz von Wissen“) lernte er auch die ersten leibhaftigen Chinesen kennen. Denn China hatte seit 1965 eine Handelsmission in Wien. Deren Diplomaten kamen öfters bei Frau Xu zum Abendessen, an denen auch Kaminski teilnahm. So wurde China immer mehr Teil seines Lebens, auch seines Berufslebens. Er promovierte und habilitierte zum chinesischen Völkerrecht. Es war deshalb fast zwangsläufig, dass er 1971 die Österreichisch-Chinesische Gesellschaft (ÖCGF) initiierte, die von beiden Großparteien (SPÖ und ÖVP), der Wirtschaftskammer und dem Gewerkschaftsbund ÖGB unterstützt wurde. Außerdem gründete er in jenem Jahr das Österreichische Institut für China- und Südostasienforschung (ICSOA). Schon 1972 dann die erste, sechswöchige Reise nach China. Viele, viele weitere folgten. Er hat aufgehört sie zu zählen. Aber er schätzt sie so auf 70 bis 80.  Die wichtigste war vielleicht im Sommer 1989. Anfang Juni jenes Jahres fand ja das Tiananmen-Massaker statt. Der Westen – auch das neutrale Österreich – sanktionierte und boykottierte China. Offizielle Kontakte waren nicht möglich, aber inoffizielle. So schickte ihn das österreichische Außenministerium im August 1989 zu einer Fact-Finding-Mission nach Beijing. Immer wieder beriet und begleitete er österreichische Minister – egal ob rot (SPÖ) oder schwarz (ÖVP) – auf Reisen nach China. Umgekehrt empfing seine ÖCGF Dutzende von Delegationen aus China. Kaminski kann darüber wunderbare Anekdoten erzählen. Zum Beispiel eine aus dem Jahre 1979, als die erste chinesische Juristendelegation nach Österreich kam. „Wir hatten wie immer kein Geld“, erinnert sich Kaminski. Also bettelte er beim Justizministerium und bekam einen Gefängnisbus gestellt, mit dem die Delegation durch (Österreich) kutschiert wurde. Die Gitter an den Fenstern wurden natürlich vorher abgebaut. Oder noch so eine schöne Story: Teilnehmer einer chinesischen Delegation hätten gerne spontan die Wiener Sängerknaben gehört. Kaminski kannte deren Chef. Und so begab es sich, dass in Kaminskis 220-Quadratmeter-Wohnung 22 Wiener Sängerknaben vor rund 100 Gästen auftraten. Und Kaminskis chinesische Frau Hongbin kochte für alle. Selbst im Schlafzimmer wurde aufgetischt. „Dieses menschliche Element spielt eine große Rolle“, sagt Kaminski. Er hat inzwischen ein großes Netzwerk mit exzellenten Kontakten auf beiden Seiten. Sein Rat und seine vermittelnde Art sind nach wie vor gefragt, auch in der österreichischen Politik. Er sagt: „Das China-Bashing hat gottseidank unsere Regierung noch nicht erfasst.“ Im Dezember wird Gerd Kaminski 80 Jahre alt, aber Ruhestand ist eher ein Fremdwort für ihn. Derzeit arbeitet er an Buch Nummer 91. Es ist eine Biographie seines Schwiegervaters, basierend auf dessen Tagebüchern, die er derzeit auswertet. Und Nummer 92 ist auch schon in Planung: Es wird von den Stadtgöttern Chinas handeln. Wetten, dass er die 100 schafft?

Info:

Hier die Podiumsdiskussion mit Gerd Kaminski anlässlich der Vorstellung seines aktuellen Buches „China und die gelbe Gefahr“ : https://www.youtube.com/watch?v=C_QTB7Q5N3w

Im Bacopa-Verlag von Walter Fehlinger sind viele Bücher von Gerd Kaminski erschienen: https://www.bacopa-verlag.at/autoren/gerd-kaminski

Hier die Homepages der Österreichisch-Chinesischen Gesellschaft (ÖCGF) und des Österreichischen Instituts für China- und Südostasienforschung (ICSOA): http://oegcf.com/  und https://www.icsoa.at/

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