OLD CHINA HANDS I Björn Conrad, Gründer und Chef von Sinolytics

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Björn Conrad (42).

Björn Conrad hat ein eher seltenes Leitmotiv: „Je komplexer, desto besser.“ Er analysiert gerne Probleme, um dann Lösungen zu finden. Derzeit gibt es viele Probleme für deutsche Unternehmen auf dem chinesischen Markt. Conrad berät diese Unternehmen. Er ist also ein Profiteur der Krise. Das würde er so nie sagen. Er drückt es anders aus: „Je komplizierter China wird, desto wertvoller sind wir. Daher haben wir derzeit eine ganze Menge zu tun.“  Wir – das ist sein Beratungsunternehmen Sinolytics, das er vor vier Jahren gegründet hat und zu dessen Kunden viele Dax-Unternehmen, aber auch Mittelständler zählen.

Aufgewachsen in einem naturwissenschaftlich geprägten Haushalt in Goslar – Vater Chemiker, Schwester Biologin – habe er „relativ früh eine sehr große Affinität zu komplizierten Dingen“ gehabt. Solch ein vertracktes Ding ist auch China und Chinesisch, das er in Trier anfing zu studieren. Warum Trier? „Ich folgte meiner Freundin“ (die inzwischen längst seine Frau ist). Sebastian Heilmann und Karl-Heinz Pohl waren seine Lehrmeister an der Uni Trier, wo er neben Sinologie noch Politik und VWL studierte. Während des Studiums verbrachte er auch ein Jahr 2002/03 an der Beida in Beijing, wohin seine Freundin übrigens mit ging und tapfer Chinesisch lernte. „Das war eine sehr positiv geprägte Zeit in China“, erinnert sich Conrad. Trotzdem zog es ihm nach dem Abschluss in Trier zu einem Zusatzstudium nach Harvard. Zwei Gründe: „Ich hatte schon sehr früh eine Beziehung zu den USA“, sagt der ehemalige Austauschschüler in Ohio. Und zweitens lockten ihn an der Kennedy School in Harvard die schon legendären policy studies. Und auch in Harvard hatte er mit dem China-Experten Tony Saich einen legendären Betreuer. Danach stand ihm die Berufswelt offen. Er ging erstmal zur Boston Consulting Group (BCG) in deren Münchner Büro, wo er sich um Energieprojekte kümmerte. Dort lernte er analytisches Handwerkszeug, das ihm bei seinen weiteren Stationen sehr hilfreich sein würde. Es folgte ein Abstecher nach Berlin zum Thinktank GPPi (Global Public Policy Institute), bei dem er den Bereich „Rising Powers“ mit aufbaute. „Da habe ich zum ersten Mal gemerkt: Etwas aufbauen – das ist mein Ding.“ Trotzdem wechselte er wieder, weil halt ein unwiderstehliches Angebot kam: „Die Weltbank suchte jemanden im Klima- und Umweltbereich, der China machen konnte.“ Also 2010 Umzug mit Frau nach Washington. Es folgten eine sehr reiseintensive Zeit.  Die Hälfte des Jahres war er in Washington, die andere irgendwo in China. Fast alle dieser Umweltprojekte waren in der tiefen Provinz. „Ich habe dadurch mehr als die Hälfte der chinesischen Provinzen kennengelernt“. Und er hat sich während dieser Zeit ein umfangreiches Netzwerk zu chinesischen Bürokraten und Politikern aufgebaut, von dem er heute noch profitiert. Nach Washington wechselte er zunächst nach Rom zur Welternährungsorganisation FAO, wo er auch wieder chinesische Projekte betreute.  „Ich war auf einem spannenden Track bei internationalen Organisationen“, sagt er rückblickend – bis 2013 dieser Anruf von Sebastian Heilmann kam, der ihn bei der Gründung des Mercator Instituts for China Studies (Merics) an vorderster Front dabei haben wollte. „Das war eine große Richtungsentscheidung für mich“, sagt Conrad. Er entschied sich ziemlich schnell für Heilmann und das Merics, weil er wieder die Chance sah, etwas Neues und in der Form Einzigartiges aufzubauen. Er wirkte viel nach innen, baute Prozesse und Strukturen beim neuen Berliner Thinktank auf. Er sagt: „Ich war im Maschinenraum des Merics.“ Heilmann war der Lenker, Conrad installierte das Getriebe. Fünf Jahre – von 2013 bis 2018 – arbeitete das Duo zusammen und machte das Merics zu einem renommierten Thinktank. Warum er aber trotzdem ging? Das hängt zum Teil mit einem kleinen Buchstaben bei der Rechtsform von Merics zusammen. Merics ist eine gGmbh, also eine gemeinnützige GmbH, die sich nicht auf kommerziell orientierte Beratung konzentrieren kann. Aber genau dies sah Conrad damals als eine faszinierende neue Herausforderung für sich selbst und als eine echte Marktlücke aus unternehmerischer Sicht. Schweren Herzens verließ er Merics („Ein Stück weit wird immer auch mein Baby bleiben“) und gründete Sinolytics, eine – wie es im Jargon heißt – Beratungsboutique. Klein, aber fein. Vierzehn Mitarbeiter – darunter einige ehemalige Merics-Mitarbeiter – plus ein Expertenpool beraten Unternehmen bei ihrem China-Engagement, egal ob Mittelständler oder Großkonzerne. „Von den ersten zehn Kunden war die Hälfte Dax-Unternehmen“. Was macht Sinolytics anders als die Konkurrenz? „Wir gehen bei der Analyse ganz tief rein“, sagt Conrad, „denn ohne diese Tiefe kommt man im anspruchsvollen chinesischen Markt heute nicht mehr weit. Deshalb gehen wir den Dingen auf den Grund, arbeiten dafür zum Beispiel in großem Detail mit chinesische Primärtexten“. Alles sehr kompliziert. „Das Entscheidende aber sei die Komplexität dann auch in konkrete und handlungsorientierte Beratungsleistung umzusetzen“, sagt der Mann, der das Komplexe liebt.

Info:

Hier geht es zur Homepage von Conrads Beratungsunternehmen Sinolytics: www.sinolytics.de

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