GESELLSCHAFT I Sieg für #MeToo

Ende Juli 2021 wachte Frau Zhou morgens in ihrem Hotelzimmer in Jinan auf. Die Angestellte des Alibaba-Konzerns war unbekleidet und hatte Gedächtnislücken. Nach und nach versuchte sie den Abend und die Nacht zu rekapitulieren. Am Abend zuvor hatte sie sich zu einem Geschäftsessen mit einem Alibaba-Vorgesetzten namens Wang Chengwen und einem Kunden namens Zhang Guo getroffen. Dort wurde heftig getrunken. Es kam offenbar danach mehrfach zu sexuellen Handlungen, auch im Hotelzimmer der Frau. All dies schrieb sie detailliert auf 11 Seiten auf und veröffentlichte diese auf einer Alibaba-internen Webseite. Auch unterrichtet sie die HR-Abteilung des Konzerns, doch diese ignorierte ihre Anschuldigungen. Als die Vorwürfe der Frau jedoch via soziale Medien an die Öffentlichkeit gelangte, musste Alibaba reagieren: Der Konzern kündigte Wang und versprach Besserung bei der Verfolgung sexueller Missbrauchs-Vorwürfe seiner Mitarbeiter. Doch als die Staatsanwaltschaft in Jinan kein Verfahren gegen Wang einleitete, änderte Alibaba seine Haltung. Im Dezember 2021 feuerte das Unternehmen Frau Zhou wegen Verbreitung von Falschinformationen. Das Opfer wird denunziert, „victim blaming“ nennt man das im Englischen. Doch der Fall bekam doch noch eine positive Wendung. Denn die Staatsanwaltschaft ließ zwar den Alibaba-Mitarbeiter Wang laufen, aber ermittelte weiter gegen den Kunden Zhang und zerrte ihn schließlich vors Gericht in Jinan. Dieses verurteilte ihn am 22. Juni zu 18 Monaten Gefängnis. Man kann dieses Urteil als doppelten Sieg bewerten. Zum einen wurde zum ersten Mal in einem spektakulären Fall das neue Zivilrecht angewandt. Seit dem 1. Januar 2021 hat China endlich ein Zivilrecht, das in Artikel 1010 u.a. auch sexuelle Belästigungen regelt. Zum anderen ist es auch ein Erfolg für die kleine #MeToo-Bewegung, die es nach wie vor schwer hat im Lande. Der politischen Führung, die ja seit Maos Zeiten gerne das hohe Lied der Gleichberechtigung singt, betrachtet diese Bewegung als ein Element westlich-liberalen Gedankenguts, die das patriarchalische System des Landes bedroht und deshalb gefährlich werden könnte. So konstatiert Leta Hong Fincher (Autorin des Buches “Betraying Big Brother – The Feminist Awakening in China”) „ a fear of the potential of a mass feminist movement to shake the patriarchical family system on which the state relies.”  

 

Info:

Eine aktuelle Übersicht über die MeToo-Bewegung in China gibt es hier: https://www.historyworkshop.org.uk/metoo-in-china/

Und hier eine Studie über die rechtliche Situation:

https://static1.squarespace.com/static/53960c86e4b010f46523d1fc/t/60d09b36beb0212573236ddb/1624283960274/Halegua%2C+Workplace+GBVH+in+China+-+FINAL+%282021.06.21%29+-+10+am+EST.pdf

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