Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Am 6. Mai hielt Olaf Scholz im Hamburger Rathaus anlässlich des 100. Geburtstages des Übersee-Clubs eine Rede und sagte dabei sogar etwas. Passend zum Ort breitete der Bundeskanzler sein Weltbild aus. Er sieht eine multipolare Welt entstehen mit vielen Akteuren aus allen Kontinenten. Dagegen sei die bipolare Welt des Kalten Krieges endgültig Geschichte. Sie werde auch nicht von einer neuen Bipolarität zwischen den USA und China abgelöst. Huch, wer hat ihm denn diese weltfremden Sätze ins Redemanuskript geschrieben? Schön wäre ja eine multipolare Welt, in der alle Nationen (am besten alle demokratisch verfasst) friedfertig im Ricardoschen Sinne miteinander Handel trieben. Aber die aktuelle Welt ist eine andere. „Der Wettbewerb der politischen Systeme ist zurück“, lautete der erste (und richtige) Satz im neuen außenpolitischen Papier der CDU/CSU. Das ist keine exklusive Erkenntnis der Christdemokraten. Fast das ganze politische Berlin tickt so – inklusive der Genossen von Scholz. Aber auch Brüssel. Und Washington sowieso. Dort hat man ja unter Trump den neuen Kalten Krieg eröffnet. Erst war er nur gegen China gerichtet. Aber nun hat er sich ausgeweitet. Es stehen sich gegenüber: Demokratien versus Autokratien. Oder konkreter: Der Westen (plus Japan, Indien, Australien und Neuseeland) gegen China und Russland (plus ein paar Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika). Beide Seiten suchen – wie in besten bzw. schlechtesten Zeiten des Ersten Kalten Krieges – Verbündete. Der Streit um die Salomonen im Pazifik ist dabei erst ein bizarrer Anfang. Wir werden noch mehr solcher Kämpfe um Einflusszonen erleben. Besonders gefährlich für Deutschland ist, dass diese Bipolarität zunehmend die wirtschaftliche Sphäre erreicht. Die Stichworte lauten: Decoupling oder Deglobalisierung. Die Stimmen aus den USA, der deutschen Politik und aus manchen Verbänden, die Wirtschaftsbeziehungen mit autokratischen Staaten (meist ist aber nur China gemeint) zu reduzieren, werden lauter. Ganz kühne Träumer fordern gar, nur noch die Demokratien sollten untereinander Handel treiben. Aber selbst eine partielle Deglobalisierung hätte für die deutsche Wirtschaft, und damit den Wohlstand hierzulande, gravierende Folgen. Immerhin, das hat Olaf Scholz in seiner Hamburger Rede richtig erkannt: „Allein ein Viertel aller Erwerbstätigen in unserem Land ist im Exportsektor beschäftigt. Deshalb sage ich mit aller Klarheit: Die Deglobalisierung funktioniert nicht. Sie ist keine gute Idee“

Wolfgang Hirn

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