CHINAHIRN fragt…Dr. Carsten Hinne, Vorstand der Duisburger Hafen AG und Seidenstraßen-Experte

Der promovierte Betriebswirt Carsten Hinne (46) ist seit Anfang des Jahres Vorstandsmitglied der Duisburger Hafen AG (duisport). Zuvor war er fast 20 Jahre lang in verschiedenen strategischen und Führungspositionen im DB Konzern tätig, u. a. bei der DB Cargo, der Frachttochter der Deutschen Bahn. Seit Ende 2017 verantwortete er das Geschäft der DB Cargo Eurasia GmbH, die die Schienenverkehre entlang der Seidenstraße durchführt.

CHINAHIRN Wie hat sich der Bahnverkehr auf der Seidenstraße entwickelt?

HINNE  2009 kam der erste Zug aus China in Europa an. Seitdem ist der Warenverkehr auf der Schiene kontinuierlich gestiegen und somit auch für den Duisburger Hafen. Wenn man vom „China-Zug“ spricht, denken viele Leute immer noch: Da fährt eine Lokomotive in China los und fährt durch bis Duisburg. Aber diesen einen Zug gibt es nicht. Wegen unterschiedlicher Spurweiten muss jeder Container mindestens zweimal angehoben werden. Außerdem hat der Zug ganz unterschiedliche Längen. Auf der Breitspur ist er wesentlich länger als auf den europäischen Streckenabschnitten. Deswegen ist es schwierig, von der Anzahl an Zügen zu sprechen. Wir nennen als Referenzzahl deshalb lieber TEU, das sind die 20-Fuß-Standardcontainer. Davon wurden 2021 rund 1,5 Millionen zwischen China und Europa bewegt. Zum Vergleich: 2014 waren es noch 25 000 TEU, 2017 rund 145 000. Aber trotz dieser Wachstumszahlen muss man relativieren: Nur 2,5 bis drei Prozent des Warenverkehrs zwischen China und Europa geht über die Schiene. Die Bedeutung ist also noch relativ gering, aber es gibt ein wahnsinniges Wachstumspotential.

CHINAHIRN Was sind die Gründe für dieses exorbitante Wachstum?

HINNE Da ist zunächst das ökologische Argument, das in Zeiten des Klimawandels immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Bahn ist nun mal klimafreundlicher als das Schiff oder Flugzeug. Hinzu kommt: Die Ware aus China ist per Schiene wesentlich schneller in Europa als mit dem Schiff. Dieses ist im Schnitt 45 bis 60 Tage unterwegs, der Zug hingegen nur 12 bis 18 Tage. Und im Vergleich zur Luftfracht, die zwar sehr schnell ist, ist die Bahn viel günstiger.

CHINAHIRN Welche Waren werden denn auf der eisernen Seidenstraße hin- und her bewegt?

HINNE Es gibt einen klaren Trend. In den Anfangsjahren waren relativ teure Güter auf der Schiene von China nach Europa unterwegs, also Computer, Chips, alle möglichen Elektronikartikel. Mittlerweile haben sie fast alles, was sie in einem europäischen Warenkorb finden: Fahrräder, Autos, Handys, sogenannte weiße Ware und sogar Textilien. Und auch Richtung China hat sich die Warenstruktur verändert. Waren es früher überwiegend Autos und Autoteile, so sind es nun mehr und mehr auch andere Güter.

CHINAHIRN Warum hat sich die Warenstruktur verändert?

HINNE Es gibt im Wesentlichen drei Gründe: Erstens wird der Frachtraum auf den Schiffen und in den Flugzeugen weltweit knapper. Zweitens werden die Laufzeiten der Schiffe immer unkalkulierbarer. Und drittens gibt es von Kundenseite immer mehr Nachfrage nach klimafreundlichen Transporten.

CHINAHIRN Wie viele Züge kommen denn in Duisburg jede Woche an?

HINNE Wir haben hohe Frequenzen mit China. In der Spitze kamen vor dem Ukraine-Krieg bis zu 60 Züge pro Woche in Duisburg an. Der Großteil der Waren bleibt hier im Ballungsraum. Der große Rest wird per Wasser, Straße und Schiene in ganz Europa verteilt. Duisburg profitiert von seiner Lage mitten in Europa. Und wir sind der größte Binnenhafen der Welt. Deshalb ist Duisburg aufgrund seiner Hub-Funktion die ideale Endstation für die meisten Züge aus China.

CHINAHIRN 12 bis 18 Tage sind diese Züge unterwegs, sagten Sie. Kann man diese Zeit noch verkürzen?

HINNE Einheitliche Spuren über die ganze Strecke würden sicher helfen. Aber das ist illusorisch. Eine 150 Jahre alte Infrastruktur mit tausenden Kilometern an Schienen lässt sich nicht verändern. Wo ich aber Optimierungspotential sehe, ist an den Schnittstellen unterwegs. Zum Beispiel an den Grenzen, wo Container umgeladen werden müssen. Dort kommt es wieder zu Verzögerungen. Wenn man die einzelnen Bestandteile der gesamten Supply Chain miteinander technisch harmonisiert und digitalisiert, wäre das ein Vorteil und auch ein Zeitgewinn. Aber dahin ist es noch ein langer Weg, denn das Projekt Bahnverkehr auf der Seidenstraße ist ein komplexes Gebilde, bei dem bis zu sieben beteiligte Bahnunternehmen, zig Terminals und diverse Behörden mitreden.

CHINAHIRN Aktuell haben Sie sicher andere Probleme, nämlich den Krieg in der Ukraine. Wie stark beeinflusst dieser den Schienenverkehr zwischen China und Europa?

HINNE Dazu muss man zunächst mal unterscheiden: Es gibt eine nördliche, eine mittlere und eine südliche Route. Die nördliche ist die gute alte transsibirische Eisenbahn. Seit dem Krieg ist diese Route faktisch stillgelegt. Sie wird gemieden, weil die gesamte Route durch Russland führt. Aber schon vor dem Krieg war die meist genutzte Route die mittlere über Kasachstan. Sie führt von dort durch einen kleinen Teil Russlands und dann nach Belarus und Polen. Diese mittlere Route ist nicht sanktioniert und nach wie vor offen. Derzeit hat sie eine Auslastung von 60 bis 65 Prozent im Vergleich zum Vorkriegsniveau. Aber es gibt inzwischen viele Kunden, die diese Route meiden wollen. Deshalb arbeiten wir an einer südlichen Route unter gänzlicher Umfahrung Russlands. Sie beinhaltet zwei Schiffspassagen. Einmal über das Kaspische Meer nach Baku in Aserbeidschan. Von dort weiter über Georgien ans Schwarze Meer und von dort nach Konstanza in Rumänien. Auf dieser Strecke laufen derzeit Testtransporte mit unseren Partnern. Diese Fahrt dauert mit circa 30 Tagen derzeit länger, weil es mehr Schnittstellen gibt. Wir – das heißt alle Marktteilnehmer – arbeiten aber daran, diese Zeit weiter zu verkürzen.

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