GESELLSCHAFT I ´Weniger Hochzeiten, weniger Kinder

Die Ja-Sager in der chinesischen Gesellschaft nehmen weiter ab. Ich meine nicht die Ja-Sager in den Behörden oder der Partei, sondern die im privaten Leben. Immer weniger Chinesen heiraten. Seit 2013 geht die Zahl der Hochzeiten kontinuierlich zurück. Nur 7,63 Millionen Eheschließungen vermeldet das Ministry of Civil Affairs für 2021. Das ist der niedrigste Stand seit 1986. Sofort gab es auf Weibo einen Hashtag „why marriage registrations hit their lowest in 36 years“.  Er kam auf rund 200 Millionen Clicks. Das Thema treibt die Leute um. Die Alten, weil sie ihre Kinder verheiraten wollen. Die Jungen, weil sie genau das nicht wollen. Vor allem die jungen Frauen sperren sich. Eine Umfrage der Kommunistischen Jugendliga vom Oktober 2021 ergab, dass 43,9 Prozent der Frauen zwischen 18 und 26 Jahren keine Absicht haben zu heiraten oder sich zumindest nicht sicher sind, ob sie das wollen. Bei den Männern in dieser Altersgruppe sind es nur 24,6 Prozent. Die Abneigung der Frauen hat mehrere Gründe. In der patriarchalischen chinesischen Gesellschaft muss die Frau sich nahezu alleine um die Erziehung kümmern. Da viele Frauen inzwischen gut ausgebildet sind, bedeutet das für sie einen Karriereknick, wenn nicht gar das Karriereaus. Viele gut verdienende junge Frauen wollen deshalb Single und unabhängig bleiben. Außerdem schreckt viele Frauen die schwierige Scheidungsprozedur ab, eine Verbindung einzugehen, die man später eventuell wieder lösen will. Interessant sind die regionalen Unterschiede bei der Heiratswilligkeit. Der Wunsch zu heiraten ist besonders niedrig in Städten wie Shanghai oder der benachbarten Provinz Zhejiang, wo die Einkommen hoch sind. Dagegen finden in den ärmeren Provinzen wie Tibet, Qinghai, Guizhou oder Anhui überdurchschnittlich mehr Hochzeiten statt. Es liegt in der Natur der Sache, dass weniger Hochzeiten weniger Kinder bedeutet. Deshalb gehen niedrige Heiratsraten mit niedrigen Geburtenraten einher. So war 2021 das Jahr mit der niedrigsten Geburtenrate seit 1949. Sie betrug lediglich 1,15. Nur Südkorea schnitt noch schlechter ab. Es ist ein rapider und alarmierender Verfall der Geburtenrate. Vor fünf Jahren betrug sie immerhin noch 1,77. Da halfen auch die Lockerungen der vergangenen Jahre nichts. Weder die staatlich gewünschte Zwei-Kind- noch Drei-Kind-Politik animieren zu mehr Kindern. Der Grund ist seit Jahren bekannt: Die Kosten der Erziehung sind einfach zu hoch und selbst von Doppelverdienern oft nicht zu stemmen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 ergab, dass die Erziehung eines Kindes rund 485 000 Yuan (das sind rund 76 000 Dollar) kostet. Wenn die Regierung den Abwärtstrend stoppen will, muss sie hier ansetzen und den Familien finanzielle Erleichterungen entweder durch Transferzahlungen und/oder Steuererleichterungen geben.

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