Drei Gipfeltreffen an einem Tag. Das hat selbst das gipfelgewohnte Brüssel noch nie erlebt. Am 24. März war es soweit. Erst trafen sich die Spitzen der NATO, dann der G7 und später noch der EU. Es ging natürlich bei allen drei Treffen vorrangig um Russland und dessen Invasion in der Ukraine. Aber „the elephant in the room“ – wie es so schön im Englischen heißt – saß stets auch mit am Tisch: China. Die einen (vor allem die Amerikaner) mahnten China, ja nicht die Sanktionen des Westens gegenüber Russland zu hintergehen. Die anderen (allen voran EU- Außenbeauftragter Josep Borrell) monierten das auch, hofften aber gleichzeitig, China dazu zu bewegen, mäßigend auf Russland einzuwirken, eventuell sogar die Rolle eines Vermittlers einzunehmen. Entsprechend fielen die Kommuniqués aus. In dem der Nato wird China namentlich genannt und angeklagt: „We call on all states, including the People’s Republic of China (PRC), to uphold the international order including the principles of sovereignty and territorial integrity, as enshrined in the UN Charter, to abstain from supporting Russia’s war effort in any way, and to refrain from any action that helps Russia circumvent sanctions.” In dem der EU wird nur allgemein gefordert: “The European Council calls on all countries to align with those sanctions. Any attempts to circumvent sanctions or to aid Russia by other means must be stopped.”
Keine Frage: China spielt in dem Konflikt eine zunehmend wichtige Rolle. Nur welche will es spielen? Es gibt sehr gemischte Signale. Da sind zum Beispiel einige positive. Der relativ neue US-Botschafter Qin Gang beteuert in „The Washington Post“, dass China keine Waffen liefern werde und „would do everything to de-escalate the crisis.“ Zudem stoppen oder reduzieren einige Unternehmen ihre Geschäfte mit Russland. Der Energiekonzern Sinopec zum Beispiel, aber auch Geely, Lenovo oder Xiaomi. Außerdem will die von China dominierte Entwicklungsbank AIIB keine Kredite mehr an Russland vergeben. Aber demgegenüber stehen die offiziellen Statements der Führung, die weiterhin die Freundschaft mit Russland betonen und den Krieg als Folge einer expansiven Nato interpretieren. Das ist auch die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, die allerdings nicht so einheitlich ist wie hierzulande gerne berichtet wird. Rund 50 Prozent sehen die Nato als Aggressor, zehn Prozent Russland. Der große Rest ist mehr oder weniger indifferent. Das ergab eine Ausweitung von Weibo-Accountants durch die Stanford-Wissenschaftlerin Jennifer Pan. Viel kritischer sieht man Russlands Krieg unter der wissenschaftlichen Elite des Landes. Es gibt mutige Professoren, die ihre Stimme erheben. Zum Beispiel fünf Geschichts-Professoren renommierter Unis (Beida, Tsinghua, Fudan, Nanjing, Hongkong), die in einem offenen Brief schreiben: „We are concerned that Russian military action will lead to a turmoil on Europe and the entire world.” Oder der Politik-Professor Hu Wei (immerhin der Parteihochschule nahestehend), der im Online-Magazin „The U.S.-China Perception Monitor“ einen sehr klugen Artikel schrieb: „Possible Outcomes of the Russo-Ukrainian War and China´s Choice“. Darin fordert er: „China cannot be tied to Putin and needs to be cut as soon as possible.” Wenn das nicht passiert, schwant ihm Schlimmes für China: „It will encounter further containment from the US and the West.” Für Li Wei, Professor für Internationale Beziehungen an der Renmin Universität in Beijing, wäre eine aktive, vermittelnde Rolle Chinas „ a great opportunity playing a constructive role“. Das würde das Ansehen des Landes im Westen erhöhen.
China als Mediator – das forderte bereits am 6. März Josep Borrell in einem Interview mit „El Mundo“. Ein paar europäische Staatschefs – unter anderem Mario Draghi – folgten ihm. Und auch die Ukraine wünscht sich eine aktive Rolle Chinas. Außenminister Dmytro Kuleba forderte China per Twitter auf „to play an important role“. Noch steht China an der Seitenlinie, will nicht diplomatisch eingreifen, fühlt sich mit einer alleinigen Vermittlerrolle offenbar auch überfordert. Aber – wer weiß – vielleicht bewegt sich schon etwas im Hintergrund. Singapurs Außenminister Vivian Balakrishnan sagt: „I hope they (China) will assert their influence with Chinese characteristics, which means quietly and discreetly, but effectively.”
Info:
Hier das Nato-Kommuniqué: https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_193719.htm
Hier das Kommuniqué des EU-Rats: https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2022/03/25/european-council-conclusions-on-the-russian-military-aggression-against-ukraine-24-march-2022/
Hier der Beitrag von Hu Wei in „The U.S.-China Perception Monitor“: https://uscnpm.org/2022/03/12/hu-wei-russia-ukraine-war-china-choice/