GESELLSCHAFT I Wer ernährt China?

Es war 1995, als Lester Brown (damals Präsident des renommierten Worldwatch Institute) ein kleines Büchlein veröffentlichte mit dem Titel: „Who Will Feed China?“ Auf deutsch erschien es ein paar Jahre später: „Wer ernährt China?“ Schon damals wies Brown auf das grundsätzliche Dilemma Chinas bei der Nahrungsmittelversorgung hin. Zu viele Menschen, zu wenige Äcker. Oder in Zahlen ausgedrückt: China hat ein Fünftel der Weltbevölkerung, aber nur acht Prozent der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Diese Zahlen kennt Chinas Führung natürlich auch und versuchte deshalb in den vergangenen Jahren, die Diskrepanz zu überbrücken. Vor allem durch Importe bei Reis, Getreide, Mais und Sojabohnen. Doch dann kam Trump an die Macht und löste einen Handelskrieg aus. Als Gegenmaßnahme reduzierte China seine Soja-Importe aus den USA. Man wollte die Bauern des mittleren Westens (überwiegend Trump-Anhänger) treffen, aber schoss sich damit auch ins eigene Bein. Und nun kam noch der Ukraine-Krieg hinzu. Aus der europäischen Kornkammer bezog China vor allem Mais und Sonnenblumenöl. Beim Nationalen Volkskongress Anfang März war deshalb die angespannte Situation auf den globalen Agrarmärkten ein großes Thema. Xi Jinping selbst brachte es in die Diskussion ein. Ernährungssicherheit sei – so Xi – von nationaler strategischer Bedeutung. Die Reisschalen der chinesischen Bevölkerung sollen mit chinesischen Produkten gefüllt sein, lautete sein Petitum. Nur wie? Da es die eine Lösung des Problems nicht gibt, müssen mehrere Maßnahmen ergriffen werden. Auf der Importseite kann China diversifizieren, indem es statt in westlichen Ländern mehr in freundlich gesinnten Staaten einkauft, zum Beispiel in Russland und den zentralasiatischen Staaten entlang der Seidenstraße. Zweitens muss die chinesische Landwirtschaft produktiver werden. Sie ist nach wie vor sehr kleinflächig. 98 Prozent der Flächen werden von Kleinbauern bewirtschaftet. Zum Vergleich: Ein Farmer in den USA bewirtschaftet 695 square miles, während ein chinesischer Bauer nur 2,3 Quadratmeilen beackert. Größere Einheiten sind produktiver. Und China hätte auch das Geld, moderne Technologien einzusetzen. Die Schlagworte heißen Precision Farming und Digital Farming. China hätte dafür das nötige Equipment, zum Beispiel Drohnen. Drittens setzen die Verantwortlichen auf die Wissenschaft. Mit der Entwicklung des Hybrid-Reises, der zu einer höheren Ernte führt, ist bereits ein spektakulärer Erfolg gelungen. Zudem soll durch den Einsatz von Bio- und Gentechnologie die Erntemengen anderer Agrargüter steigern. China setzt – anders als zum Beispiel das restriktive Europa – auf gen-manipulierte Lebensmittel. Sie forschen sehr intensiv, warten aber noch auf den ganz großen Durchbruch. Viertens erwartet die Regierung von der Bevölkerung ein verändertes Konsumverhalten: einerseits weniger Verschwendung, andererseits mehr veganes/vegetarisches Essen, denn der steigende Fleischkonsum bereitet große Sorgen. Die Nahrungskette lautet: Mehr Fleisch – mehr Rinder und Schweine – mehr Futtermittel. Und das muss zu einem großen Teil in Form von Soja importiert werden. Es scheint aber, dass zumindest unter der jungen städtischen Bevölkerung die Bereitschaft zu einem reduzierten Fleischkonsum steigt. Dazu passt die aktuelle Meldung, dass der US-Konzern Beyond Meat, Hersteller von Fleischersatz-Produkten, künftig seine Produkte online via Tmall und JD.com verkauft, und dass immer mehr chinesische Startups Beyond Meat, das bereits eine Fabrik in China hat, Konkurrenz machen wollen.

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