Bevor sich Xi Jinping am 4. Februar zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele ins Nationalstadion begab, empfing er im staatlichen Gästehaus Diaoyutai einen wichtigen Gast: Wladimir Putin. Informierte Putin damals seinen Gastgeber über den militärischen Angriff auf die Ukraine? Wir wissen es nicht, deshalb wird kräftig spekuliert: Was wusste Beijing über Moskaus Absichten und wann wusste China etwas? „The New York Times“ berichtet von vielen Telefonaten amerikanischer Beamten mit Beijing, in denen sie diesen von einem bevorstehenden Einmarsch der Russen berichteten. Sie baten deshalb auf Putin einzuwirken, keinen Krieg zu beginnen. Doch Beijing hätte dieses Ansinnen – so die NYT – „repeatedly rebuffed.“ Warum sie das taten, glaubt „The Wall Street Journal“ zu wissen: Xi Jinping und seine Berater hätten nicht an eine Invasion geglaubt. Sie hofften – wie die deutschen und französischen Regierungschefs – bis zuletzt an eine diplomatische Lösung. In diesem Sinne hielt noch am 19. Februar Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede, in der er auch Russland aufforderte, zum Minsker Abkommen zurückzukehren. Zwei Tage später erklärte Putin das Minsker Abkommen für gescheitert, fünf Tage später marschierte die russische Armee in der Ukraine ein. Vieles spricht also dafür, dass Putin auch Xi getäuscht bzw. nicht über seine Absichten informiert hat. Auf jeden Fall hat Putin mit seiner völkerrechtswidrigen Aktion Chinas Führung in eine schwierige Situation gebracht. China stehe vor einer „impossible balance by seeking to pursue three goals simultaneously”, schreibt Asien-Experte Evan Feigenbaum vom US-Thinktank Carnegie Endowment. Die drei unvereinbaren Ziele sind nach Ansicht Feigenbaums: Erstens die strategische Partnerschaft mit Russland, die ja gerade am 4. Februar nochmals mit einem umfangreichen Statement bekräftigt und ausgeweitet wurde; zweitens suche China keine Verschlechterung der ohnehin schon schlechten Beziehungen zu den USA und Europa; und drittens will China an den Prinzipien der territorialen Integrität und Nichteinmischung festhalten. Gerade letztere sind seit Jahren die unverrückbaren Eckpfeiler chinesischer Außenpolitik. Dies hat auch Wang Yi bei seiner Münchner Rede nochmals bestätigt: „The sovereignity, independence and territorial integrity of any country should be respected and safeguarded”, sagte er und fügte unmissverständlich hinzu: „Ukraine is no exception.“ Wenn Beijing das ernst meint, müsste es Moskau verurteilen, aber man will die Freundschaft mit Russland nicht gefährden. Entsprechend eiert China herum. Das fängt schon bei der Wortwahl des russischen Angriffs an. Siehe das Wortgeplänkel bei der täglichen Pressekonferenz des chinesischen Außenministeriums. Als ein AFP-Korrespondent in einer Frage das Wort Invasion gebrauchte, wies ihn Außenamts-Sprecherin Hua Chunying zurecht: Das sei keine Invasion, sondern eine „special military operation.“ Dieser Begriff wird auch von den staatlichen chinesischen Medien benutzt. Egal, wie Putins Militäraktion letztendlich bezeichnet wird – sie passt nicht in Chinas aktuelles Konzept. Jude Blanchette und Bonny Lin (CSIS) schreiben in „China´s Ukrainian Crisis“ (Foreign Affairs vom 21. Februar): “Beijing would no doubt prefer, that the current crisis didn´t exist.” Am 4. Januar hat Xi Jinping anläßlich des 30. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen noch freundliche Worte an den ukrainischen Premier Volodymyr Zelensky gesandt. China – der größte Handelspartner der Ukraine – hat gewichtige wirtschaftliche Interessen, bezieht unter anderem Mais und Weizen aus dem Land. Außerdem ist die Ukraine ein wichtiger Partner bei der Seidenstraßen-Initiative. Doch vielleicht wichtiger als die wirtschaftlichen Probleme ist der geopolitische Kollateralschaden, der durch Putins Krieg auf China zukommt. Nochmals Blanchette/Lin: “The invasion of Ukraine risk dividing the most important powers into two blocs – Russia and China on one side and the US and Europe on the other – re-creating the cold war security arrangements that China claims to vehemently oppose.”
Info:
Die Rede von Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz: https://www.youtube.com/watch?v=k-s1_JSYzwQ
Der Artikel von Evan Feigenbaum: https://carnegieendowment.org/2022/02/24/china-faces-irreconcilable-choices-on-ukraine-pub-86515
Und hier der Artikel von Jude Blanchette und Bonny Lin: https://www.foreignaffairs.com/articles/china/2022-02-21/chinas-ukraine-crisis