Am 27. Januar trat Honkongs Regierungschefin Carrie Lam vor die Presse und verkündete, dass die Quarantäne bei Einreise von drei auf zwei Wochen verkürzt würde. Eine kleine Erleichterung, vor allem für die vielen Ausländer (Expats), die beruflich und privat öfter aus- und einreisen müssen oder wollen. Diese hatten sich über ihre Sprachrohre – meist die Handelskammern – beschwert, dass sie sich durch die strikten Covid-Beschränkungen Hongkongs dort nicht mehr wohl fühlten und dieser Frust zu Abwanderungen führen könnte. Diese kritischen Töne hat Carrie Lam offenbar vernommen, aber sie beeilte sich bei ihrer Pressekonferenz gleich hinzuzufügen, dass diese Entscheidung „not because of pressure from anybody“ zustande kam. Das muss man wohl sagen, will man Herrin des Verfahrens bleiben. Hongkongs Regierung steckt in einem Dilemma. Einerseits muss sie auf Wunsch Beijings die Null-Covid-Strategie durchziehen, andererseits muss sie schauen, dass sie nicht die vielen Ausländer verprellt und damit den Status als Finanzplatz gefährdet. Hongkong, früher mal ein Industriestandort, ist längst zu einer asiatischen Dienstleistungsmetropole mutiert. Banker, Berater und Anwälte tummeln sich in der Stadt, multinationale Konzerne haben dort ihre regionalen Headquarters. Doch diese Drehscheiben-Funktion ist in Gefahr, und zwar wegen der – trotz zaghafter Lockerungen – weiterhin restriktiven Covid-Politik und des politischen Klimas, das sich nach Einführung der Sicherheitsgesetze zunehmend verschlechtert hat. Deshalb spielen viele Expats – sie stellen rund ein Zehntel der 7,5 Millionen Einwohner – aber noch mehr Hongkonger mit dem Gedanken, die Stadt zu verlassen. Umzugsunternehmen und Relocation-Firmen melden gute Auslastung und dabei mehr mehr Abwanderung als Zuwanderung, etwa im Verhältnis 3:1. „Historically the relation was always hovered close to 1:1, so 3:1 is quite unusual“, sagt Rob Chipman, Chef des Relocation-Unternehmens Asian Tigers gegenüber der “South China Morning Post”. Viele der Expats zieht es nach Singapur, dem ewigen Rivalen, der eine andere, eine lockerere Covid-Strategie fährt. Vor allem die Banker zieht es in die südostasiatische Finanzmetropole. Die Commerzbank sowie die US-Banken Wells Fargo und Bank of America liebäugeln offenbar mit einem Umzug nach Singapur. Und angesichts der virtuellen Arbeitswelten ist es auch gar nicht mehr so wichtig, wo man seinen Sitz hat. „Hubs are very fluid now“, sagt Peony Lim von der Personalberatung ALS International. Deshalb könnten in Stellenbeschreibungen die Bewerber inzwischen häufig wählen: Hongkong oder Singapur. Da wählen viele Singapur. Neben den Expats stimmen aber auch viele Hongkonger mit den Füßen ab und verlassen ihre Stadt. Ihre Ziele sind andere, nämlich Australien, Kanada und Großbritannien. Letzteres ist vor allem für die stolzen Besitzer eines British National Overseas Pass attraktiv. Allein im vergangenen Jahr haben fast 100 000 dieser Pass-Inhaber Anträge auf Einreise nach Großbritannien gestellt. Was bedeuten diese Abgänge – ob Expats oder Einheimische – für Hongkong? Der Maybank-Economist Chua Hak Bin sagt gegenüber der “South China Morning Post”: „Hongkong will increasingly become just another Chinese city.”
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