OLD CHINA HANDS I Volker Stanzel, ehemaliger Botschafter

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Volker Stanzel (72).

Diplomat, Journalist oder Wissenschaftler? Vor dieser Frage stand der junge Volker Stanzel, nachdem er 1978 sein Studium der Japanologie, Sinologie und Politologie beendet hatte. Er entschied sich für den diplomatischen Dienst. Es war eine richtige Entscheidung – für ihn und auch für das Auswärtige Amt, in dem sich Stanzel zum profiliertesten Asien-Experten entwickelte. Er war – und das ist einmalig – sowohl Botschafter in Beijing als auch in Tokio. „Ich war sehr früh an Japan interessiert“, sagt Stanzel. Geweckt wurde das Interesse durch einen Lehrer aus der Ostermarsch-Bewegung, der von den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sprach, aber auch von „der permanenten Revolution“ in China, sagt er. Linker Juso, schrieb er dennoch 1967 in der Schülerzeitung einen kritischen Beitrag über Maos Kulturrevolution. Er war kein Maoist wie viele Sinologen dieser Zeit. Aber er war – und ist es bis heute – ein sehr politischer Mensch. „Ich komme aus einer sehr politischen Familie“, sagt er.  1966 trat er in die SPD ein (aus der er 2013 als Gegner der Großen Koalition austrat). 1968 fing er an der Uni Frankfurt das Studium der Japanologie an. Als Nebenfach musste er Sinologie nehmen, wo er überwiegend auf Jung-Maoisten traf. Nach dem Grundstudium ging er mit einem Stipendium für drei Jahre nach Kyoto. Er näherte sich Japan auf dem Landweg. Aber nicht über die langweilige Route mit der Transsib, sondern abenteuerlich via Türkei, dem Iran, Indien, Thailand, Singapur, Hongkong und Taiwan. Die drei Jahre Japan haben den jungen Stanzel geprägt. „Japan wurde zu meiner zweiten Heimat,“ sagt Stanzel. Die erste Auslandsstation im AA war denn auch gleich Tokio. Damals war er Presseattaché an der deutschen Botschaft. Knapp 30 Jahre später kehrte er wieder zurück nach Tokio, dann aber als Botschafter. Seine erste und letzte Station war also Japan. Eine glückliche (oder war es eine absichtliche?) Fügung. Auch in den Jahren dazwischen hatte er immer wieder Jobs mit Bezug zu Asien, darunter der Botschafter-Posten in Peking von 2004 bis 2007. China und Japan – er kennt die schwierigen Nachbarn. „Natürlich vergleicht man ständig“, sagt er. Beide Nationen seien eng verbunden gewesen, schwankten in der Geschichte zwischen Konflikt und Kooperation. Und dann sagt er einen wichtigen Satz: „Beide Länder haben zeitversetzt ähnliche Entwicklungen genommen.“ Fast 100 Jahre nach der Meiji-Reform habe sich schließlich auch China modernisiert. Allerdings konstatiert er auch eine negative, zeitversetzte Entwicklung: „Ich sehe derzeit in China einen nachholenden Imperialismus, den Japan ja in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrieben hat.“ Wird denn China zeitversetzt zu Japan irgendwann auch die Demokratie einführen? „Diese Frage ist offen“, sagt er; „dieses Land hat so viele Umbrüche erlebt, wir sollten nicht glauben, dass mit Xi die Zeit der großen Harmonie ausgebrochen ist.“ Aber das sind Fragen, die Stanzel nach seiner Pensionierung umtreiben. Ein politischer Mensch wie er denkt weiter – im doppelten Sinne des Wortes. Er nahm nach dem Ausscheiden aus dem AA Lehraufträge in den USA, Japan und Deutschland an und engagierte sich bei diversen Thinktanks. Aktuell ist Stanzel, der in Berlin-Schöneberg wohnt, Senior Distinguished Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Dort arbeitet er gerade an zwei Studien zu den Themen Diplomatie und KI sowie Taiwans Außenpolitik. Und da ist noch sein Langzeitprojekt: Ein Buch über die Geschichte der chinesisch-japanischen Beziehungen. Die ersten 100 Seiten hat er schon. Aber er ist erst im Jahre 600. Es gibt also noch viel zu schreiben.   

Info:

Wer Volker Stanzel im O-Ton hören will, dem empfehle ich das Gespräch, das er kürzlich mit Sabine Ganter-Richter (Deutsch-Japanische Gesellschaft Bonn) führte: https://www.youtube.com/watch?v=Jo3o_s8tzns

No Comments Yet

Comments are closed