OLD CHINA HANDS I Jürgen Kracht, Hongkong-Legende

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Jürgen Kracht (74).

Früher hatte die Samstagsausgabe der FAZ oft 100 und noch mehr Seiten Stellenanzeigen. Die letzte Seite trug die Überschrift Internationale Stellenanzeigen. Diese studierte Anfang der 70er Jahre ein junger Mann aus Lemgo besonders aufmerksam. „Ich wollte raus in die Welt, eigentlich egal wohin“, sagt Jürgen Kracht heute. Es wurde Hongkong, denn dort suchte das traditionsreiche Handelshaus Jebsen in der FAZ einen jungen deutschen Mitarbeiter. Anfang Januar 1971 fing Kracht dort an. Und heute lebt er immer noch in Hongkong. 50 Jahre Hongkong – kaum ein Deutscher kennt Hongkong länger und besser als der weißhaarige Mann. Er ist eine sprudelnde Quelle nahezu unerschöpflicher Stories aus der ehemaligen britischen Kolonie und Mainland China, wie die Hongkonger das Land jenseits der Grenze nennen. Er erzählt von der Kanton-Messe in den 70er Jahren, wo die Ausländer im Dong Fang Hotel logierten und sich um die einzige Leitung zum Absetzen von Telex (für die Jüngeren: das war der Vorläufer des Telefax) stritten. Er berichtet vom ersten Walzwerk, das deutsche Firmen Mitte der 70er Jahre mit Hilfe von Jebsen nach Wuhan verkauften und Jebsen die Genehmigung einbrachte, 1976 ein Büro in Beijing zu eröffnen: „Das war eine Sensation“.  Zehn Jahre arbeitete Kracht bei Jebsen. Dann machte er sich selbständig mit einem Beratungsunternehmen namens Fiducia. Das heißt Vertrauen auf Lateinisch. Sein chinesischer Name besteht aus den zwei Schriftzeichen für ehrlich und hart arbeitend. Attribute eines typischen Ostwestfalen. Anfangs half er vor allem deutschen Konzernen, sich in Hongkong niederzulassen, das damals das Sprungbrett nach China war. Nachdem die keine Hilfe mehr benötigten, wurden große Mittelständler seine Kunden. Sie sind es heute noch. Längst hat Fiducia Büros in Beijing und Shanghai. 2012 übergab Kracht die Geschäfte an seinen Sohn Stefan. Vater Jürgen sagt: „Es kann nicht zwei Chefs geben.“ Bei strategischen Entscheidungen redet er noch mit, aber aus dem Tagesgeschäft hält er sich raus.  Inzwischen hat er im Berliner Stadtteil Wilmersdorf eine Wohnung gekauft. Er und seine Frau können sich vorstellen, ein halbes Jahr hier und ein halbes Jahr in Hongkong zu leben. Doch er stellt klar: „Hongkong ist und bleibt unser Wohnsitz.“  Dort wohnen sie in Park View auf Hong Kong Island mitten im Grünen.

Was er an Hongkong gut findet? „In 15 Minuten bin ich am Strand, in 15 Minuten bei der Arbeit, und in 5 Minuten beim Wandern.“ Natürlich hat er auch eine Meinung zur aktuellen politischen Situation in Hongkong. Für ihn haben die Demonstranten zwei Fehler gemacht. Erstens hätten sie öffentliche Einrichtungen gewaltsam zerstört und zweitens käme die Forderung nach Unabhängigkeit viel zu spät. Als 1984 die Briten den Übergabevertrag mit China besiegelten, habe keine westliche Regierung aufgemuckt. „Der gesamte Westen hat damals gestattet, dass aus der britischen eine chinesische Kolonie wird.“ Sich jetzt darüber aufzuregen, sei deshalb scheinheilig. Er rechnet mit einer Abwanderung von Teilen der Bevölkerung. Das bedeute aber nicht den Untergang Hongkongs: „Wenn 30 000 gehen, kommen 30 000 aus China nach.“

Info:

Jürgen Kracht hat auch ein Buch über die Handelsbeziehungen zwischen China und Deutschland geschrieben. Es heißt: „Das ist China – Auf Spurensuche durch 300 Jahre China-Geschäft“. Mehr dazu auf der persönlichen Webseite von ihm: https://jurgenkracht.com/

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