Als Johnny Erling (68) im Herbst 2019 als China-Korrespondent der WELT aufhörte, schenkten ihm die Kollegen ein Video, in dem sie alle ihrem Johnny dankten, der stets für sie mit seinem enzyklopädischen Wissen ansprechbar war. Die SZ titulierte ihn als „Korrespondentenlegende“. In der Tat: Kein deutscher Journalist hat mehr Erfahrung und Wissen über China als Johnny Erling, der inzwischen zurück in Deutschland ist und mitten in Bad Homburg wohnt und schreibt, „obwohl wir eigentlich nach Berlin wollten.“
Erling hatte in seiner Heimatstadt Frankfurt VWL und Sinologie studiert. Wie er zur Sinologie kam? Naja, als sozialistisch angehauchter Schüler in der Unabhängigen und Sozialistischen Schülergemeinschaft (USSG) hatte er schon ersten Chinesischunterricht, las die Peking-Rundschau. Und er lernte in einem jüdischen Altersheim Madgalena Robitscher-Hahn kennen, die in den 40er Jahren als Zahnärztin in China war und über die er später auch ein Buch schrieb.
Im Oktober 1975 kam Erling zum ersten Mal nach China – im dritten Jahrgang des DAAD-Programms. Er studierte an der renommierten Beida. Es war ein völlig anderes Beijing als heute: „Die Uni war umgeben von Feldern, alles war voller Fahrräder.“
1977 ging es zurück. Er machte seinen Magister, wollte promovieren, aber auch Journalist werden. Er bekam ein Volontariat bei der Frankfurter Neuen Presse. Dann ereilte ihn Ende 1979 ein Brief aus Beijing, ob er nicht bei der Übersetzung der Marx-Engels-Studienausgabe vom Deutschen ins Chinesische lektorieren wolle. Dort lernte er auch seine Frau Zhao Yuanhong kennen, die damals Teile des Marxschen „Kapital“ übersetzte.
1982 ging es wieder zurück nach Deutschland – diesmal mit Frau und Baby. Erneuter Anlauf zur Promotion, aber erneutes Abdriften in den Journalismus, diesmal als Bonner Korrespondent für die WELT. 1985 dann das Angebot der Frankfurter Rundschau – „Ich kannte Karl Grobe“ – als China-Korrespondent nach Beijing zu gehen. „Das war eine spannende Zeit, eine Aufbruchzeit, Zeit der Reformen.“ Sie endete 1989 jäh mit dem Tiananmen-Massaker. Es folgte die Zeit der Repression. Erling wollte zurück. Die FR bot ihm Nairobi an. Er flog hin und schaute sich um, entschied sich dann aber doch für das Angebot der WELT: Von Hannover aus sollte er beobachten und berichten, wie Ost und West zusammenwachsen.
Drei Jahre tat er das, dann erhielt er wieder eines dieser Angebote: Die Stadt Duisburg wollte ihn als ihren Vertreter in die Partnerstadt Wuhan schicken. Weil die GIZ ihn gleichzeitig als Repräsentanten für das CIM-Programm engagierte, sagte er zu, machte aber klar: Ich mache das nur drei Jahre, denn ich will im Journalismus bleiben. Und daran hielt er sich auch. Ab 1997 arbeitete er wieder für die WELT, diesmal als Korrespondent in Beijing, wo er bis zu seiner Pensionierung 2019 blieb.
Wer soviel China-Erfahrung hat, dem kann man ein paar grundsätzliche Fragen stellen. Zum Beispiel:
Kann ein westlicher Journalist China wirklich kennenlernen? Erlings Antwort: „Je länger man sich mit China beschäftigt, desto weniger Antworten hat man auf viele Fragen. Wie Entscheidungen fallen, bleibt uns verborgen. An die wenigen wichtigen Leute kommen Sie als Journalist gar nicht ran.“ Andere Frage: Was kann Deutschland von China lernen? „Vielleicht das Große und Ganze im Blick haben. Aber nicht übernehmen sollten wir das chinesische Tempo, was manche hierzulande immer fordern.“ Und hat er noch einen Tipp für die jungen Kollegen in China? „Ganz wichtig: Zwischen den Zeilen lesen. Auch die Parteizeitungen. Dort findet man immer wieder Hinweise auf das, was sich gerade anbahnt.“
Er selber ist nach wie vor gut informiert, hält Vorträge, schreibt Aufsätze – meist für US-Universitäten – und hat eine freitägliche Kolumne beim Newsletter China Table. Ob er denn nicht ein Buch über seine Erfahrungen schreiben will? „Im Moment nicht“, sagt er. Aber ausschließen will er es auch nicht.