Nur noch vier Journalisten hat das amerikanische Wirtschaftsblatt „The Wall Street Journal“ in China, drei in Beijing, einen in Shanghai. Der große Rest des China-Büros sitzt in Hongkong, Taiwan, Singapur und den USA, darunter eine mit deutschem Pass: Sha Hua. Offiziell ist sie seit April 2020 beim „Journal“, aber erst seit Ende September an ihrem temporären Dienstsitz Hongkong. Davor war sie nach kurzem Aufenthalt in Hongkong im Sommer in Deutschland und wartete auf ihre Wieder-Einreise. Zwei Wochen lang musste sie nach jeder Einreise in Hongkong in Hotel-Quarantäne. Und zwar strikt überwachte Quarantäne, sagt sie.
Man sei in Hongkong konsequent gewesen. Die Folgen: Derzeit gibt es im Schnitt rund zehn Infektionen pro Tag in der 7,5-Millionen-Einwohner-Stadt; die Geschäfte waren nie zu, die Restaurants haben jetzt wieder bis 22 Uhr geöffnet. Aber Sha Hua ist weder zum Shoppen noch zum Vergnügen in Hongkong. Sie arbeitet dort bei einer der renommiertesten Tageszeitungen der Welt, dem „Journal“, das nur einen Konkurrenten neben sich duldet: die „Times“, wie die Journal-Leute „The New York Times“ nennen.
Es ist eine imposante Karriere, die Sha Hua bislang hingelegt hat. Mit vier Jahren kam sie nach Deutschland. Ihre Eltern waren schon in Dortmund, der Vater hatte ein Promotionsstipendium im Fach Architektur bekommen, die Mutter studierte auch Architektur. Sie wuchs auf als ein Kind des Ruhrgebiets, dessen Menschen sie mag. Sie sind ehrlich, geradeaus, allürenfrei und arbeitsam- so wie sie.
Mit 16 gewann sie ein Stipendium für eine internationale Schule in Wales, danach studierte sie an den besten Adressen: Harvard, London School of Economics und Oxford. Während ihres Promotions-Studiums über moderne chinesische Geschichte war sie zur Feldforschung in Beijing und arbeitete nebenbei etwas für die Nachrichtenagentur Reuters. „Das fand ich spannend“, sagt sie. Sie berichtete über Roboter-Wettkämpfe und Geigen-Dörfer, aus Kohleminen und Gen-Laboren, von Knoblauch-Spekulanten und Pop-Stars. Sie entschied sich die Promotion sein zu lassen und in den Journalismus zu gehen. Dokumente im Archiv zu lesen und zu kopieren erschien ihr immer seltsamer, während das Leben außerhalb der Archive doch so spannend war und sich so schnell entwickelte. Sie wollte raus, mit den Leuten reden und über sie berichten.
Sie machte ein Volontariat beim NDR und arbeitete anschließend unter anderem als freie Journalistin beim ZDF-Magazin Frontal 21, ehe das Handelsblatt anklopfte und ihr eine Korrespondentenstelle in Beijing anbot. Für die Risikobereitschaft ist sie dem Blatt bis heute dankbar. „Ich hatte bis dato keine Printerfahrung“, sagt sie, „und trotzdem haben sie mir eine Chance gegeben und mich nach Beijing geschickt.“
Die Erfahrungen beim Handelsblatt ermöglichten ihr nach zweieinhalb Jahren den Wechsel zum „Journal“.
Es ist eine andere Welt, für ein amerikanisches Blatt mit globaler Leserschaft zu schreiben. Das fängt mit dem Arbeitsprozess an. Mehrfach werden ihre Artikel redigiert, sie muss stets ihre Quellen zum Gegenchecken intern offenlegen. Und dann der Personalaufwand. Während die Büros deutscher Medien meist nur mit einer oder zwei Person(en) besetzt sind, hat das „Journal“ mehr ein Dutzend Reporter*Innen aus China, Hongkong, Japan, Singapur, Südkorea, Großbritannien und den USA, die vielfach fließend Mandarin sprechen, lesen und schreiben. „Meine Kolleg*Innen sind sehr gut mit chinesischen Quellen vernetzt und exzellente Reporter“, sagt Sha Hua.
Sie schreibt für das Blatt über gesellschaftliche Themen in China, die Klimapolitik des Landes und ab und zu auch über die chinesisch-europäischen Beziehungen. Am liebsten würde sie aber gerne noch mehr Zeit darauf verbringen, mehr menschliche und humorvolle Geschichten zu schreiben. “Auch das ist China”, sagt sie. Es sei wichtig, das Land in all seinen Facetten und Ebenen abzudecken. Und über Themen zu berichten, die die Menschen dort bewegen – und nicht nur das Schlaglicht auf solche zu werfen, die Washington, Berlin und London kümmern. “Wie sonst können wir China wirklich verstehen?”
In normalen Zeiten würde sie zur Recherche viel reisen. „Das fehlt mir“, sagt sie, „es ist schon etwas komisch, wenn man nicht vor Ort mit den Menschen sprechen kann.“