Wo ist Jack Ma? Tagelang machten sich die (westlichen) Medien schlagzeilenträchtige Sorgen um Chinas bekanntesten Unternehmer. Das heißt: Sorgen machten sie sich nicht wirklich. Sie witterten eher eine Revolver-Story. Chinas einst reichster Mann sei ins Ausland geflüchtet, hinter Gittern oder sonstwo. Das scheint nicht der Fall zu sein. Vielmehr ist Ma in medialer Quarantäne, offenbar angeordnet von ganz oben, der KP-Spitze. Das Vergehen von Ma: Er und sein Unternehmen Alibaba sind zu mächtig geworden. Alibaba – erst 1999 gegründet – ist inzwischen ein Moloch, der fast überall seine Finger im Spiel hat. Das Unternehmen dominiert den boomenden Online-Handel in China (auch wenn mit JD.com ein stattlicher Rivale heranwächst), es beherrscht zusammen mit Tencent (WeChat Pay) den Markt für Bezahlungen per Handy, es ist an Dutzenden von Unternehmen der Online-Welt beteiligt (siehe das Chart unter Info).
So omnipräsent wie Alibaba war auch Jack Ma. Er traf US-Präsident Donald Trump, kaum war dieser im Amt. Er bekam jederzeit Termine bei Regierungschefs, egal wo auf dieser Welt. Er war Stammgast in Davos, er veranstaltete seinen jährlichen Internet-Gipfel in Wuzhen, zu dem alle Größen kamen (übrigens auch Xi Jinping). Er gab Interviews, trat in TV-Shows auf und hielt Reden.
Seine vorerst letzte öffentliche Rede wurde ihm zum Verhängnis. Am 24. Oktober in Shanghai (siehe CHINAHIRN 10) prangerte er das chinesische Finanzsystem an. Staatschef Xi soll sehr, sehr wütend gewesen sein. Erste Bestrafung: Der unmittelbar bevorstehende milliardenschwere Börsengang von Ant Group (der Finanztochter, an der Alibaba 35 Prozent und Jack Ma knapp über 50 Prozent hält) wurde abgesagt. Und in der Folge kümmerten sich diverse Regulierungsbehörden etwas intensiver um Alibaba und Ant. An Heiligabend (der in China freilich nicht heilig ist) kündigte The State Administration of Market Regulation (SAMR) ein Verfahren gegen Alibaba an. Dem Unternehmen wurde geworfen, es würde seine Monopol-Stellung ausnutzen, indem von Unternehmen, die ihre Waren über Alibaba-Plattformen verkaufen wollen, Exklusivität verlangt würde. Ein paar Tage später meldete sich die Zentralbank und forderte von Ant Group zwar keine Zerschlagung, aber eine Restrukturierung ihres Portfolios. Vize-Governor Pan Gongsheng: „Ant needs return to its roots of (electronic) payments.”
Wie sind diese Attacken auf Alibaba zu verstehen? Als Rachefeldzug des politischen Führers gegen den wirtschaftlichen Primus? Oder steckt mehr dahinter? Ich vermute Letzteres. Betrachtet man diverse Äußerungen, Gesetzesvorstöße und Gerichtsurteile der vergangenen Wochen, so sieht das alles nach Beginn einer stärkeren Regulierung der Internet-Giganten aus. Denn neben Alibaba kommen zunehmend auch andere Branchengrößen ins Visier der Behörden. China folgt damit einem globalen Trend – die Macht der Internetgiganten genauer unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls zu brechen. Freilich wird dies im Westen unterschiedlich interpretiert: Wenn die Behörden in den USA und der EU zu recht gegen die allmächtigen (amerikanischen) Internetkonzerne wie Amazon, Facebook, Google & Co. vorgehen, bekommen sie Applaus von Öffentlichkeit und Medien. Wenn aber die Behörden in China gegen ihre viel mächtigeren Konzerne wie Alibaba oder Tencent vorgehen, wird das als Gängelei der Privatwirtschaft bezeichnet.
Info:
Was alles zu Alibaba gehört, kann man auf dieser Übersicht von Ashley Dudarenok sehen:
https://twitter.com/AshleyDudarenok/status/1214376013334843392/photo/1