Der Gründervater des Merics, der inzwischen wieder an der Uni Trier lehrt, hat in der Schriftenreihe der Vontobel-Stiftung ein sehr interessantes Essay (unbedingt lesen!) geschrieben: „Die Seidenstraßen-Illusion – Mythen und Realitäten eines eurasischen Superkontinents unter chinesischer Vorherrschaft.“ Darin räumt Heilmann mit vielen Mythen auf, die sich um das Projekt ranken. Mythen, die Chinas Herrscher verbreiten, aber auch Mythen, die im Westen kursieren. Das Seidenstraßen-Projekt ist nach seiner Ansicht „kein fixierter, ausformulierter Masterplan“. Es würden keine detailliert ausgearbeiteten Top-down-Vorgaben existieren. Die BRI (Belt and Road Initiative) sei auch kein Marshall-Plan, wie oft im Westen behauptet wird. „Das Seidenstraßen-Programm formuliert keinen Masterplan zur Umgestaltung der Welt oder gar zur Herstellung chinesischer Vorherrschaft.“ Gerne wird auch behauptet, China treibe die Staaten entlang der Seidenstraße in eine Schuldenfalle. Heilmann widerspricht: „Diese politische Brandmarkung hält einer sachlichen Prüfung nicht stand.“ Auch wendet er sich gegen die Mär von Eurasien, die die Autoren Bruno Macaes, Parag Khanna und Kent E. Calder in ihren Büchern vertreten. Er sieht weder historisch noch aktuell ein Zusammenwachsen der beiden Kontinente Asien und Europa: „Die Vision eines integrierten eurasischen Superkontinents ist nebulös und irreführend.“
Trotz dieser Relativierungen konstatiert Heilmann, dass China mit den „neuen Seidenstraßen“ ein gewaltiger Propagandaerfolg gelungen sei, dem Europa ziemlich orientierungslos zusieht. Heilmann: „Europäischen Regierungen und der EU ist es bislang nicht gelungen, eine strategische Antwort zu entwickeln.“ Sein Vorschlag: „Nötig wäre ein offensives, selbstbewusstes Branding der Leistungen Europas.“
Er gibt dem Seidenstraßen-Projekt keine große Zukunft. Es zeichne sich vielmehr eine Entzauberung und Entdramatisierung ab. Er spricht von einer „verfrühten Variante einer imperialen Überdehnung.“ Sein Ausblick: „Die negativen finanziellen Folgen der Coronakrise und des Wirtschaftskonfliktes mit den USA werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die finanzielle und geographische Schrumpfung des Seidenstraßen-Programms beschleunigen.“
Info:
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