CHINAHIRNfragt…Rainer Burkardt, Anwalt

Warum hat China erst so spät ein Zivilgesetzbuch?

Das erste chinesische Zivilgesetzbuch gab es bereits 1929/1930. Dieses von der Republik China verfasste Zivilgesetzbuch wurde allerdings von der Volksrepublik China 1949 wieder aufgehoben. Sie  unternahm dann 1954, 1962, 1979 und in 2001 insgesamt vier Versuche ein eigenes Zivilgesetzbuch zu verabschieden, die aber alle aus verschiedenen Gründen scheiterten. Nachdem China sich Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre wieder für die Außenwelt öffnete, war das chinesische Rechtssystem nicht für eine Öffnung ausgelegt. Es mussten schnell passende Gesetze geschaffen werden, um ausländischen Unternehmen eine Rechtsgrundlage bei deren Investitionen und Geschäftstätigkeiten in China zu verschaffen. Der Gesetzgeber hat damals – offensichtlich unter Zeitdruck – entschieden zeitnah Einzelgesetze dort zu schaffen, wo sie am dringendsten benötigt wurden. Große, komplexe Gesetzgebungsvorhaben, wie ein einheitliches Zivilgesetzbuch, hat man aus pragmatischen Gründen hintenangestellt. Erst in den letzten Jahren wurde das Projekt eines einheitlichen Zivilgesetzbuchs wieder aufgegriffen.

Ist es nur eine Verknüpfung bereits bestehender Einzelgesetze oder doch mehr?

Im neuen Zivilgesetzbuch sind hauptsächlich bestehende Einzelgesetze zusammengefasst worden. So sind unter anderem die allgemeinen Prinzipien des Zivilrechts, das Ehegesetz, das Erbschaftsgesetz, das Vertragsgesetz und andere Gesetze in das neue Zivilgesetzbuch übernommen worden. Es wurden aber auch Änderungen vorgenommen und Neuerungen hinzugefügt. Tatsächlich hat man die Hälfte aller Paragraphen hinzugefügt oder geändert. Dabei wurden leider die zusammengefassten Einzelgesetze nicht vollständig aufeinander abgestimmt und bestehende Unklarheiten wurden übernommen. Zudem sind wichtige Zivilgesetze, wie beispielsweise das Produktqualitätsgesetz, nicht mit in das Zivilgesetzbuch eingeflossen. Insofern ist das Zivilgesetzbuch fraglos ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zu einer einheitlichen Gesetzgebung. Es wurde jedoch die Gelegenheit versäumt eine wirkliche Gesetzeseinheit zu schaffen. Der oberste Volksgerichtshof hat daher auch schon angekündigt, Interpretationen zur Anwendung des Zivilgesetzbuchs veröffentlichen zu wollen. Diese werden voraussichtlich einige der Unstimmigkeiten und Unklarheiten beseitigen.

Was sind für Sie die wichtigsten Punkte/Neuerungen?

Hier alle wichtigen Punkte aufzuzählen wäre zu umfangreich. Wichtig ist u.a., dass das neue Zivilgesetzbuch die Hinweispflicht bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen erweitert. Auch der Eigentumsvorbehalt wurde durch das neue Zivilgesetzbuch gestärkt, indem man die Möglichkeit einer Eintragung, die einen gutgläubigen Erwerb verhindern soll, aufgenommen hat.

Zudem wurde ein ausdrückliches Kündigungsrecht mit angemessener Frist von unbefristeten Dauerschuldverhältnissen mit aufgenommen. Unklar ist jedoch, was als angemessene Frist gelten soll.

Beim Garantievertrag gab es ebenfalls Änderungen: Bisher galt eine Gesamthaftung, wenn nichts anderes vereinbart war. Der Gläubiger konnte sich also direkt an den Garantiegeber wenden. Laut neuem Zivilgesetzbuch gilt eine generelle Haftung. Das heißt, dass der Gläubiger erst gerichtlich gegen den Hauptschuldner vorgehen muss und erst nach erfolglosem Vollstreckungsversuch Ansprüche gegen den Garantiegeber geltend machen darf.

Sehen Sie Fortschritte beim Schutz der Persönlichkeitsrechte (Buch IV)?

Das neue Zivilgesetzbuch soll u.a. Geschäfte zwischen Privaten regeln. In diesem Rahmen wurde auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte vor dem Eingriff anderer Privat- und Geschäftsleute im neuen Zivilgesetzbuchs detailliert geregelt. Viele der Ansprüche bestanden jedoch im Grunde auch schon vor der Verabschiedung des neuen Zivilgesetzbuches und wurden durch dieses nur detaillierter ausgestaltet oder herausgehoben. Wie effektiv sich diese Erweiterung im Schutz der – selbst durchzusetzenden – Persönlichkeitsrechte auswirkt, wird maßgeblich von der praktischen Anwendung durch Gerichte sowie von der Bereitschaft der Verletzten abhängen, die eigenen Rechte vor Gericht dann auch durchzusetzen.

Dies gilt insbesondere, wenn nicht ein rein wirtschaftlicher, sondern auch ein immaterieller Schaden (z.B. Schmerzensgeld) durch die Geschädigten gefordert wird. Dabei werden Entwicklungen auf dem Gebiet des Datenschutzes Einfluss nehmen, da speziell hier viele Regelungen zum Schutz von Persönlichkeitsrechten ausgestaltet wurden. Bisher standen chinesische Verbraucher dem Missbrauch Ihrer persönlichen Daten oft gleichgültig gegenüber. Die Neuerungen im Zivilgesetzbuch in Kombination mit weiteren Gesetzesvorhaben, wie z.B. einem personenbezogenen Informationsschutzgesetz, könnten zu Änderungen im Verhalten der chinesischen Verbraucher führen.

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Rainer Burkardt ist seit über 20 Jahren als Anwalt in China tätig. Er arbeitete für deutsche und amerikanische Kanzleien. 2013 gründete er die Kanzlei Rainer Burkardt & Partner in Shanghai. Info: www.bktlegal.com

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