China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine very Old China Hand vorgestellt: Peter Kreutzberger
Kein deutscher Diplomat war wohl länger in China als Peter Kreutzberger. Rund 17 Jahre war er in Shanghai, Beijing und zuletzt Shenyang auf Posten. Studien und Urlaub addiert, hat der heute 67jährige Kreutzberger rund 20 Jahre seines Lebens in China verbracht. Wer so viel erlebt hat, kann auch viel erzählen. Und das tut Kreutzberger. Vier Stunden saßen wir an einem Spätsommernachmittag im Teehaus im Englischen Garten in Berlin (Psst! Ist ein Geheimtipp!) und tranken keinen Tee.
Seinen ersten Kontakt mit China hatte er bereits in ganz jungen Jahren. In Dearborn in den USA, wo sein Vater, ein Chemiker, bei Ford arbeitete. In der Nachbarschaft wohnte eine chinesische Familie, die eine Tochter in seinem Alter hatte: Anna Sui (sie ist heute eine der berühmtesten Modedesignerinnen Amerikas). Bei Anna zuhause roch es anders (Sojasauce!), dort erzählten sie Geschichten aus China, dort lernte er seine ersten Schriftzeichen – die Zahlen von eins bis zehn. Kreutzberger traf Anna erst nach fast 50 Jahren während der EXPO 2010 in Shanghai wieder. China aber begleitete ihn weiter, denn nach dem Abitur in Münster, wohin seine Eltern umgezogen waren, studierte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Volkswirtschaft (Diplom), Publizistik (Magister) und klassische Sinologie in den Jahren der auslaufenden Kulturrevolution und der Viererbande. Lehrstuhlinhaber für Sinologie war dort der legendäre Ulrich Unger.
Im September 1980 ging es mit einem DAAD-Stipendium nach China, nachdem Kreutzberger zuvor noch in zwei Semestern an der Universität Hamburg die Basis des modernen Chinesisch erlernt hatte. In China erweiterte er erst in Beijing sechs Monate lang seine Sprachkenntnisse, ehe er hernach eineinhalb Jahre an der Universität Nanjing seinen ersten Anlauf zu einer Dissertation unternahm, damals zum Thema „Wertgesetz unter dem Sozialismus“, den er aber wegen Zeitmangel nach seinem Berufseinstieg abbrach (Erst 2001 gelang ihm im vierten Anlauf die Promotion, und zwar an der Tongji Universität zum Thema „Chancen und Risiken für deutsche Mittelständler in China zu investieren“.)
Mit Studieren war Anfang der 80er Jahre nicht viel in China, meint Kreutzberger, denn Forschung, Lehre und Verwaltung der Universitäten waren weiterhin geprägt von den politischen Wirren vor 1978. Noch heute aber profitiert Kreutzberger davon, dass er den China-Aufenthalt damals nutzte, so viel wie möglich von dem sich gerade wieder öffnenden Land zu sehen. Viele Orte waren für Ausländer gesperrt. Man benötigte eine Reisegenehmigung. Kreutzberger lernte damals nicht nur die chinesische Bürokratie kennen, sondern auch mit ihr um zu gehen.
1982 kam er zurück. Was nun? China wollte er schon irgendwie treu bleiben. Hans Stumpfeldt, noch so ein legendärer Sinologe an der Uni Hamburg, schickte ihn zur Deutschen Bank. Die hätten Ambitionen Richtung China. Kreutzberger durchlief ein Trainee-Programm: „Ich habe dort lebens- und berufspraktisch mehr gelernt als in der Schule, den Universitäten und in der späteren Ausbildung des Auswärtigen Amtes (AA).“ In kurzer Zeit stieg er zum stellvertretenden Leiter der Aussenfinanzierung der Deutschen Bank Filiale Hamburg auf. „Da musste man die Nullen vor dem Komma genau prüfen.“ Allerdings erfüllte sich sein Wunsch nicht, beim Aufbau der Beiiinger Filiale mitzuwirken.
In seiner WG erzählte jemand vom diplomatischen Dienst. Er bewarb sich. „Ich war der erste, der Chinesisch konnte, aber kein Französisch.“ Gerade noch so rutschte er rein. Nach Stationen in der Wirtschafts- und Europaabteilung des Auswärtigen Amtes (AA) und seinem ersten Auslandsposten in Nepals Hauptstadt Kathmandu war es dann 1994 endlich soweit: Er durfte zum ersten Mal als Diplomat nach China. In Beijing wurde er stellvertretender, später Chef der Handelsförderungsstelle, die damals in der alten DDR-Botschaft saß. „Die vier Jahre dort haben mir viel Spaß gemacht“, sagt Kreutzberger heute.
Danach war er im AA zuständig für EU-Agrarpolitik, der Tiefpunkt seiner Karriere. „In drei Jahren habe ich nur eine vernünftige Vorlage geschrieben, scheiterte damit, weil man meinem Urteil nicht traute. Als die Katastrophe dann reinbrach, hatte ich zumindest meinen Kopf und Kragen gerettet.“ Es folgten Stationen in Paris (OECD, „interessante Menschen, gut für meine Dissertation, historisch überholt“) und Berlin (BDI-Austauschprogramm, „hervorragend in sich und ersparte mir erneut die Zentrale“).
2005 ging es dann für den Rest seiner diplomatischen Laufbahn nach China. Zunächst als Stellvertreter des Generalkonsuls in die Glitzermetropole Shanghai. Im Kontrast betreute er dort aber auch vom AA finanzierte Kleinstprojekte (Armutsbekämpfung, Frauengleichstellung, Umweltschutz), die ihn in die Provinz Anhui führten: „Solchen Lebensbedingungen war ich in China bis dahin auch nicht begegnet.“ Für den deutschen Auftritt auf der EXPO 2010 versah Kreutzberger einen leitenden protokollarischen Posten, was seinen Shanghai-Einsatz auf ungewöhnliche fünfeinhalb Jahre verlängerte.
Im obligatorischen Gespräch mit der Personalabteilung des AA während des Heimaturlaubes kurz vor Weihnachten 2010 wurde ihm die Stelle als Stellvertreter der Wirtschaftsabteilung an der Botschaft Beijing angeboten – nicht sein Wunschposten, allerdings außergewöhnlich erneut China.
Ihm war klar: „Wenn ich da Nein sage, ist meine China-Karriere vorbei.“ Er sagte Ja.
In den vier Jahren dort schielte er auf seinen nächsten und letzten diplomatischen Einsatz und hatte stets Shenyang im Auge. Dort hat Deutschland seit 2011 ein Generalkonsulat. „Shenyang galt als dreckig und uninteressante Industriestadt“, sagt Kreutzberger, „und nach Nowosibirsk und Ulan-Bator als die kälteste Außenvertretung.“ Das schreckte ihn nicht ab. 2015 wurde er dort Generalkonsul – und siehe da: „Shenyang ist eine moderne Stadt mit toller Kultur.“ Höhepunkt war der Kanzlerin-Besuch im Juni 2016. Dazu muss man wissen: BMW produziert in Shenyang.
Seit 1. Juli 2018 ist Kreutzberger nun im Ruhestand und lebt wie viele ehemalige Diplomaten in Berlin. Aber China beschäftigt ihn weiter. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Dongbei, den Nordosten Chinas.
Das Resümee seiner ungewöhnlichen Karriere zieht er selbst: „Nicht nur der außergewöhnlich lange China-Einsatz, sondern in fast 40 Jahren AA nur vier Jahre in der Zentrale ist rekordverdächtig. Darunter litt zwar der Karriereaufstieg. Da ich aber überwiegend das bekam, was ich wollte, sehe ich das gelassen.“