POLITIK I (Fast) Alle gegen Merkel

   Wie mit China umgehen? Das ist die große Frage, die die deutsche und europäische Politik umtreibt. Jetzt und auch in den nächsten Monaten und Jahren. Eine Frage, viele Antworten, vor allem viele unterschiedlichen Antworten.

    Eine gab kürzlich Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, in einem viel beachteten Beitrag für Spiegel Online am 2. August. Zitat: „Klar ist: Wir brauchen dringend mehr europäisches Handeln im Umgang mit China. Eine konsequente “Team-Europa-Politik” ist längst überfällig. Das ist eine Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, während der wir ganz besonders in der Verantwortung stehen. Die EU muss gegenüber China selbstbewusster agieren und mit einer Stimme sprechen.“ Wer könnte das nicht unterschreiben. Seit Jahren hört man dieses Mantra: Wir brauchen eine gemeinsame europäische Politik gegenüber China.

    Wie aber in der EU eine gemeinsame Position erreichen, wenn nicht mal die Bundesregierung eine einheitliche Haltung gegenüber China hat. Es gibt – grob gesagt – zwei Lager: Die Bundeskanzlerin und ihr treuer Adlatus Peter Altmaier auf der einen Seite, das Auswärtige Amt mit Minister Heiko Maas und sein Adlatus Michael Roth auf der anderen Seite. Viele Beobachter interpretieren Roths Artikel als ein versteckter Angriff auf Merkels Chinapolitik des ruhigen und geduldigen Umgangs mit China.

    Selten sagt sie was zu und über China. Dafür spricht Peter Altmaier, zum Beispiel in einem FAZ-Interview vom 12. Juli. Zuerst wurde er grundsätzlich: „Es war immer die Politik der westlichen Staatengemeinschaft, auch der EU, dass internationale Handelsbeziehungen nicht allein daran ausgerichtet werden können, wie demokratisch ein Land ist. Das haben wir nie gemacht, selbst nicht zu den Zeiten von Willy Brandt und Joschka Fischer.“ Für die Bundesregierung hätten die Einhaltung der Menschenrechte höchste Priorität. „Das machen wir auch gegenüber China so.“ Aber dann sagt er etwas, was viele in Berlin – egal in welcher Partei – nicht unterschreiben würden: „Ich bin nicht der moralische Oberlehrer der Welt, aber ich bin davon überzeugt, dass Länder wie China wirtschaftlich nur dann langfristig erfolgreich sein werden, wenn grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet sind.“ Da schimmert die alte Doktrin des „Wandels durch Handel“ durch, die viele schon abgeschrieben haben, weil sie im Falle Chinas eben nicht die gewünschte Wirkung (mehr Demokratie, mehr Rechtsstaat) gebracht hätte.

   Diese Haltung Altmaiers – und wohl auch der Kanzlerin – wird zunehmend in Berlin kritisiert. Die britische Wochenzeitung The Economist titelte schon am 16. Juli: Angela Merkel`s soft China stance is challenged at home. Als Herausforderer nennt das Blatt unter anderen die üblichen Verdächtigen: CDU-Aussenpoliker Norbert Röttgen und SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. Noah Barkin (früher Reuters-Journalist, jetzt Thinktanker beim German Marshall Fund) konstatiert just einen Tag, nach dem Michael Roths Artikel erschien, in Politico: „A fundamental shift is also underway in Berlin.“ Unterlegt mit anonymen Quellen. Und Michael Roth. Zufall oder Absicht?  

    Die Kritiker der Merkelschen China-Politik (darunter die Phalanx der Springer-Blätter) fangen schon an hoffnungsfroh zu spekulieren, wie nach ihr die China-Politik aussehen wird oder auszusehen hat. Schauen wir uns also die CDU-Kandidaten für den Parteivorsitz (und damit auch für die mögliche Kanzlerschaft) an: Zwei sind überzeugte Transatlantiker – Friedrich Merz und Norbert Röttgen.  Merz war lange in Diensten der amerikanischen Private-Equity-Firma Blackrock und ist ehemaliger Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Zuletzt sagte er in einem T-Online-Interview: „Bisher hat Deutschland sehr viel Rücksicht genommen auf die chinesische Staatsführung und natürlich auch auf unsere eigenen Wirtschaftsinteressen. Aber ich sehe dazu eine neue Nachdenklichkeit in Berlin und auch in Teilen der deutschen Wirtschaft. Aus meiner Sicht kann ich nur sagen: Wir müssen unsere außenpolitische und unsere wirtschaftspolitische Souveränität bewahren.“ Norbert Röttgen, der erst vor paar Jahren die Außenpolitik entdeckt hat, arbeitet sich an seinem Lieblingsgegner Huawei ab und ist einer der Hardliner in der deutschen China-Politik.

      Vom Duo Armin Laschet/Jens Spahn ist aufgrund derzeit anderer Arbeitsschwerpunkte wenig China-relevantes überliefert. Es gilt das gesprochen Wort Laschets beim Besuch des chinesischen Botschafters Wu Ken im September 2019: „Die Zusammenarbeit wollen wir auch über die Wirtschaft hinaus intensivieren. Die großen Herausforderungen unserer Zeit wie der Klimawandel brauchen multilaterale Lösungen und internationale Zusammenarbeit.“ Das klingt eher nach Merkel.

      Aber was passiert, wenn doch der noch kokettierende Söder antritt und der nächste Kanzler wird?  Viel hat er bislang zu China nicht gesagt. Aber das wenige lässt vermuten, dass ein Kanzler Söder eher im Sinne seiner Vorgängerin handeln wird. Im Sommer-Interview des ZDF sagte er: „Gleichzeitig spüren wir aber gerade in der Wirtschaftskrise, dass wir schon einen strategischen Dialog brauchen, weil auch extreme Interessen betroffen sind.“ Und staatsmännisch fügt er hinzu: „…diese richtige Balance zu finden zwischen Interessen und Werten, scheint mir die größte Herausforderung der deutschen Außenpolitik der nächsten Jahre zu sein.”

   Klar, Bayern ist auch Autoland. Audi und BMW haben dort ihren Sitz. Und auch Siemens, das ja traditionell sehr stark in China unterwegs ist. Sowie die vielen Mittelständler aus dem Freistaat. Söder würde mit seiner moderaten China-Politik in der Tradition des großen Franz-Josef Strauss stehen. Obwohl offiziell ein Kommunistenfresser, war er immer bereit mit den kommunistischen Herrschern – ob sie in Moskau, Ost-Berlin oder auch Peking saßen – Deals einzufädeln. Strauss war es auch, der im Januar 1975 noch vor dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (was diesen maßlos ärgerte) nach China flog und auf etwas abenteuerlicher Weise sogar den dahinsiechenden Mao Zedong in Changsha traf.

    Ein Foto von diesem Treffen brachte übrigens Söder bei seinem China-Besuch im März 2015 seinen Gastgebern mit. Darf man diese Fotoübergabe als Symbolik interpretieren: Söder in der Tradition von Strauss?

Info:

Michael Roths Beitrag im Spiegel gibt es hier: https://www.spiegel.de/politik/ausland/china-als-europas-systemrivale-die-sicherheit-unserer-buerger-steht-auf-dem-spiel-gastbeitrag-a-c8a2df41-8b57-41d6-8540-40768dfd51f3

Noah Barkins Beitrag in Politico: https://www.politico.eu/article/why-post-merkel-germany-will-change-its-tune-on-china/

Das Interview von Friedrich Merz bei T-Online: https://www.t-online.de/nachrichten/id_88316578/friedrich-merz-bemaengelt-cdu-problem-da-sind-wir-weit-hinter-der-zeit-.html

Wer O-Ton der Merkelkritischen Springer-Medien hören will, bitte schön, hier ein WELT-Kommentar: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article213187022/EU-China-Gipfel-Merkel-ist-die-wichtigste-Stuetze-Pekings-in-der-westlichen-Welt.html

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