WISSENSCHAFT | Sprachlose Sinologen

Mechthild Leutner ist emeritierte Professorin für Sinologie. Sie lehrte seit 1990 an der FU Berlin. Draußen in Dahlem. Dort, im schönen Biergarten „Luise“, treffe ich sie, um mit ihr über den Einfluss der Sinologen auf die politische und öffentliche Diskussion über China zu reden. In der vergangenen Ausgabe habe ich beschrieben, dass die Berliner Thinktanks – von Merics bis SWP – die Diskussion im öffentlichen Raum beherrschen, während die Sinologen sprachlos in ihren Elfenbeintürmen verharren.  Also, Frau Leutner: Warum finden Sinologen so wenig in der öffentlichen Diskussion statt?

 „Man wird in der Uni mit Aufgaben zugeschüttet“, antwortet sie. Der Verwaltungsaufwand sei in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Er nimmt inzwischen fast ein Drittel aller Aufgaben von HochschullehrerInnen ein. Neben all dieser Verwaltungsarbeit und den universitären Kernaufgaben von Forschung und Lehre bleibe – so Leutner – deshalb kaum Zeit für Interviews mit Medienvertretern und tagesaktuelle Kommentierungen.

     Es ist ja nicht so, dass es keine Sinologen (und Politologen) gäbe, die was zu und über das aktuelle China zu sagen hätten. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit hier ein paar Namen (alphabetisch, nicht nach Bedeutung geordnet): Doris Fischer (Würzburg), Christian Göbel (Wien), Jörn-Carsten Gottwald (Bochum), Thomas Heberer (Duisburg-Essen), Sebastian Heilmann (Trier), Heike Holbig (Frankfurt), Nele Noesselt (Duisburg-Essen),  Eberhard Sandschneider (FU Berlin), Markus Taube (Duisburg-Essen) und Felix Wemheuer (Köln). 

   Eines ihrer Probleme: Sie haben keine Presseabteilung im Rücken wie die Thinktanks. Während zum Beispiel das Merics mit Kerstin Lohse-Friedrich eine sehr erfahrene und bestens verdrahtete Ex-Journalistin an der Spitze ihrer Kommunikationsabteilung hat, müssen die Hochschulprofessoren sich quasi selbst vermarkten. Klar, es gibt an jeder Universität Pressestellen, aber die sind für die gesamte Uni zuständig. Und so wissen viele Journalisten nicht, welches Know-how da an deutschen Unis schlummert, und rufen dann doch lieber beim Merics an.

  Hinzu kommt: Viele Professoren scheuen den Gang raus aus dem Elfenbeinturm, rein ans Licht der Öffentlichkeit. Dort wird man eventuell vorgeführt und „abgeschlachtet“. So erging es zum Beispiel Helwig Schmidt-Glinzter, dem renommierten Sinologen, einst an der Universität Göttingen, jetzt Leiter des China-Zentrum Tübingen.  Er wurde im Mai 2019 in einer Anhörung vor dem Menschenrechtsausschuss  des Bundestages zur Lage religiöser Minderheiten in China auch persönlich heftig attackiert, was ihn angeblich noch Wochen danach zu schaffen machte.

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