WIRTSCHAFT | DIE ANGST VOR DEM AUSVERKAUF

    Die Angst geht um – vor allem in Redaktionsräumen, Politikerbüros und auch Brüsseler Eurokratenstuben. Die Angst, dass Chinesen unsere Unternehmen aufkaufen. Sie sehen allenthalben Schnäppchenjäger aus China mit prall gefüllten Geldkoffern, die die Gunst der Corona-Stunde nutzen und deutsche Aktiengesellschaften oder dahinsiechende Mittelständler kaufen. Dax-Konzerne sind in der Tat unterbewertet und deshalb günstig zu haben. Die Deutsche Bank könnte mit Peanuts gekauft werden. Bei Daimler müsste man ein Pfund drauflegen.

Doch, wo sind die chinesischen Kofferträger? Bislang nur in den Alpträumen von Journalisten. Ganz reißerisch vermeldet zum Beispiel Focus auf dem Titel: „China kauft Deutschland.“ Da muss natürlich die Politik reagieren. So fordert der CSU-Europapolitiker Manfred Weber, der mal Chef der EU-Kommission werden wollte, in der WamS: „Wir müssen, europäisch koordiniert, die Einkaufstour chinesischer Unternehmen bis zum voraussichtlichen Ende der Corona-Krise zunächst für ein Jahr rechtlich untersagen.“

    Und auch Ex-Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen trommelt, weil er ähnliche chinesische Chimären sieht. Seinen Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung vom 29. April titelte er: „Europa muss Chinas Angriff abwehren“. Darin argumentiert er: Bis 2016 seien die chinesischen FDI gestiegen. Stimmt. Wir schreiben aber das Jahr 2020. Und was passierte dazwischen? Die chinesischen Investitionen in Europa gingen zurück. Herr Rasmussen hat ein Beratungsbüro namens Rasmussen Global mit mehreren gut ausgebildeten Mitarbeitern, darunter auch mit Jonas Parello Plesner einen ausgewiesenen China-Experten. Kennt er diese Zahlen nicht oder ignoriert sie sein Chef, weil sie gerade nicht in sein Weltbild passen?  

     Vielleicht sollte man in diesem Falle besser auf die hören, die es ja wissen müssten, ob vor ihrer Tür Chinesen oder deren Emissäre stehen und ihre Firmen kaufen wollen. Martin Welcker zum Beispiel, der Präsident des Verbandes des Deutschen Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA). Er bezeichnet laut Süddeutsche Zeitung vom 28. Mai diese Übernahme-Ängste als „hysterisch“. O-Ton Welcker: „Es gibt überhaupt keine Anzeichen dafür, dass Chinesen in einem Roll-Over-Kommando deutsche Unternehmen übernehmen werden.“  

    Und noch eine Stimme aus der Wirtschaft: Yi Sun ist Partnerin bei EY. Über ihren Düsseldorfer Schreibtisch gehen seit Jahren viele deutsch-chinesische Übernahme-Deals. Doch derzeit? Yi Sun sagt: „Wir erleben kein sonderlich gestiegenes Interesse von chinesischen Investoren. Im Gegenteil, fast die Hälfte aller Transaktionen ist derzeit auf Hold. Viele wurden sogar komplett abgesagt. Die Unsicherheit im Markt ist groß. Da wagt niemand riskante Schnellschüsse.“

    Dazu passt die eben veröffentlichte Analyse von Thilo Hanemann und Daniel H. Rosen vom renommierten New Yorker Analyseunternehmen Rhodium Group. Sie kommen darin zu dem Schluss: “There are no signs of a Chinese outbound investment boom, like the one seen after the global financial crisis a decade ago. Instead, takeovers are headed in the other direction: into China”.

     Richtig beobachtet: Vor kurzem hat Volkswagen seine Beteiligung  am Joint-Venture mit JAC erhöht und sich zudem mit 50 Prozent an der staatlichen JAC-Mutter JAG beteiligt. Außerdem stieg VW beim Batteriekonzern Gotiun High-tech ein. Kosten beider Transaktionen: Über 2 Milliarden Euro. Das war vielen Medien hierzulande freilich nur ein kleiner Einspalter wert. Wäre es umgekehrt passiert: Die Buchstaben auf der Titelseite des größten deutschen Boulevardblattes wären sehr groß gewesen.

Info: Der Artikel von Thilo Hanemann und Daniel H. Rosen „Who`s is buying whom“ ist abrufbar unter: https://rhg.com/research/whos-buying-whom/; Die Berater von EY haben Anfang Februar 2020 einen Rückblick auf die chinesischen Auslandsinvestitionen 2019 gegeben: https://www.ey.com/en_cn/china-opportunities/what-was-the-state-of-chinese-outbound-investment-in-2019

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