Abhängigkeit ist das Wort der Stunde. Und meist bzw. fast nur wird es in Zusammenhang mit China verwendet. Wir sind abhängig bei einfachen Chips, Seltenen Erden, Batterien, Arzneimitteln und, und… Aber nicht die Chinesen sind an allem schuld, sondern auch wir, weil wir um diese Abhängigkeiten seit Jahren wissen und kaum etwas dagegen tun. Es ist bequemer mit dem Finger auf China zu zeigen. Man kann damit das eigene Unvermögen geschickt kaschieren.
Bestes Beispiel: Chips – ein Lehrstück für europäische Versäumnisse und Fehlentscheidungen.
Im Mai 2013 stellte die damalige Kommissions-Vizepräsidentin Neelie Kroes, eine Niederländerin, eine neue europäische Industriestrategie für die Elektronik vor. Mit vielen Euros – es war die Rede von 100 Milliarden Euro privatem und öffentlichem Geld – sollte der Anteil bei Chips von damals 10 auf 20 Prozent im Jahr 2020 gesteigert werden, Die Analyse von Neelie Kroes war damals so richtig wie heute: „Andere investieren aggressiv in Computerchips, und Europa darf nicht zurückbleiben Wir müssen unsere bestehenden Stärken stärken, vernetzen und neue Stärken entwickeln.“ Kroes schwebte die Bildung eines Airbus of Chips“ vor. Analog zu dem europäischen Konsortium aus vier Luftfahrtunternehmen, die den Airbus bauen, sollte ein Zusammenschluss von Firmen und Instituten einen europäischen Chip produzieren. In Frage für ein solches Chipkonsortium kämen die drei führenden europäischen Chipfirmen STMicroelectronics (Frankreich/Italien), Infineon (Deutschland) und NXP (Niederlande), plus ASML sowie die Forschungsinstitute imec (Belgien), Fraunhofer (Deutschland) und Leti (Frankreich). Eine European Leaders Group (ELG) wurde eingesetzt mit den Chefs aller eben genannten Firmen und Institutionen. Sie lieferte im Februar 2014 eine 24-seitige Strategic Roadmap ab. Doch die Roadmap führte ins Nirwana oder – freundlicher ausgedrückt – in eine Sackgassee. Es passierte danach nicht viel. Weder hob ein „Airbus of Chips“ ab noch wurde der europäische Marktanteil bis 2020 gesteigert. Europa steht also auch 2024 genau da, wo es auch 2013 gestanden hat: bei gerade mal zehn Prozent Marktanteil bei Chips.
In diesem Jahrzehnt des Nichtstuns hat sich sogar einer der möglichen Konsortiumspartner, der niederländische Chiphersteller NXP, erlaubt, seine Tochter Nexperia 2018 an ein chinesisches Unternehmen zu verkaufen. Und eben diese Nexperia ist derzeit zwischen die Fronten des amerikanisch-chinesischen Techkrieges geraten und lieferte vorübergehend nicht mehr. Es stellen sich Fragen: Warum verkauft man eines der wenigen Chipunternehmen, die man noch hat, an ein chinesisches Unternehmen? Warum hat keiner der (niederländischen) Politiker, die jetzt so lautstark die Abhängigkeit von China beklagen, damals interveniert?
Zweites Beispiel: Batterien. Auch da tauchte das Wort vom Airbus auf. EU-Kommissar Maroa Šefčovič forderte 2018 einen ”Airbus für Batterien”. Ihm schwebten mehrere große Batteriefabriken in Europa vor, um von asiatischen, das heißt vor allem koreanischen und chinesischen, Lieferanten unabhängiger zu werden. Doch allzu viele Batteriefabriken sind nicht entstanden, sondern eher Investitionsruinen, wie die der schwedischen Firma Northvolt, die in die Insolvenz ging.
Drittes Beispiel: Seltene Erden und andere Rohstoffe. Seit Jahren wissen wir, dass China bei seltenen Erden ein Quasi-Monopol hat. Doch wir haben jahrelang nichts unternommen. Wir waren eigentlich insgeheim dankbar, dass China uns diese Drecksarbeit abgenommen hat, denn Abbau und Verarbeitung sind ein verdammt schmutziges Geschäft. Und jahrelang wurde erzählt, dass seltene Erden gar nicht so selten sind, sondern überall auf der Welt vorkommen, auch in Europa. Ja, das stimmt. Doch der Abbau stößt auf Gegenwehr. Ob in Portugal, Serbien oder Nordskandinavien – überall protestieren Umweltschützer.
Auch wenn die EU einen Critical Raw Materials Act verabschiedete und die deutsche Regierung einen Rohstofffond auflegte, wird es noch Jahre dauern, bis wir die Abhängigkeit wenigstens etwas mildern können.
Drei Beispiele, die zeigen, dass sich Europa selbst in diese missliche Lage manövriert hat. Und die auch zeigen, dass es keine kurzfristige Lösung geben wird. Wir werden noch über Jahre mit diesen Abhängigkeiten leben müssen. Ob es angesichts dieser Situation ratsam ist, im Schlepptau der USA weiterhin einen konfrontativen Kurs gegenüber China zu fahren, darf bezweifelt werden.