Hangzhou ist sicher eine der schönsten Städte Chinas. Manche China-Reisende werden den idyllischen Westsee in Erinnerung haben. Aber Hangzhou – eine Schnellzugstunde von Shanghai entfernt – ist nicht nur die alte Kaiserstadt, sondern inzwischen eine moderne Hightech-Metropole. Hier – in der Hauptstadt der Provinz Zhejiang – startete vor 26 Jahren Jack Ma das E-Commerce-Unternehmen Alibaba, das inzwischen in fast allen Zukunftstechnologien mitmischt. Hier hat der Autokonzern Geely, der Großaktionär von Daimler ist, seinen Sitz. Und hier sind die sechs kleinen Drachen zuhause, wie das halbe Dutzend der Tech-Unternehmen genannt wird, die in Hangzhou in den vergangenen Jahren gegründet wurden. Viele Mitarbeiter all dieser Unternehmen haben an der Zhejiang Universität studiert, die längst zu den chinesischen Top-Unis gehört. Aber einige kommen auch von einer bislang wenig bekannten Uni in Hangzhou – der Westlake University, der ersten privaten Forschungshochschule Chinas. “It‘s a small, flexible, research-driven, and deeply selective university“, schreibt Amber Zhang, die Ende Oktober den Campus besuchte und dort für den Newsletter Baiguan recherchierte und jetzt einen Artikel veröffentlicht hat.
Initiatoren waren sieben Wissenschaftler und Entrepreneure, die die Idee einer solchen privaten Hochschule 2015 ventilierten. Ziemlich schnell gaben die Regierungen der Stadt Hangzhou und der Provinz Zhejiang ihre Zustimmung zu dem Projekt. Innerhalb weniger Jahre entstand ein neuer Campus mit erstklassigen Labors und anderen Forschungseinrichtungen. Die Stadt stellte das Gelände zur Verfügung und finanzierte die Gebäude und deren Einrichtung. Eine private Stiftung, hinter der Unternehmen stecken, bezahlt die Gehälter und das laufende Geschäft. In der westlichen Welt würde man ein solches Modell als Public-Private-Partnership bezeichnen.
Bereits 2018 startete die Uni. Wie gesagt, es ist eine Forschungsuni. Das heißt, es sind derzeit nur rund 200 Studenten, aber 2700 Doktoranden an der Uni. Sie werden von rund 300 Professoren unterrichtet. Das ergibt eine nahezu einmalige Relation zwischen Lehrenden und Studierenden. Die Professorenschaft ist mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren ziemlich jung. Fast 85 Prozent von ihnen haben Auslandserfahrung. In den vergangenen Monaten sind einige prominente Professoren aus den USA nach Hangzhou gewechselt, zum Beispiel der Datenwissenschaftler She Yiyuan, der fast zwei Jahrzehnte an der Florida State University gelehrt hat.
Für die Studierenden sind die Eintrittshürden hoch. Es wird nicht nur das Ergebnis der berühmten gaokao (Abiturprüfung) herangezogen. Sie müssen zudem eine Prüfung an der Uni absolvieren. Diese besteht aus einem dreitägigen Assessment, in dem die Aspiranten unter anderem eine Präsentation in Englisch halten sowie mit den Professoren über ein Thema diskutieren müssen, von dem sie vorher noch nie etwas gehört haben. Wer es geschafft hat, gehört zu einem „rigorously selected STEM talent pool“, schreibt Amber Zhang. STEM steht für Science, Technology, Engineering und Mathematics (im Deutschen sind es die MINT-Fächer). An der Westlake University wird nur in den STEM-Fächern und Medizin unterrichtet und geforscht.
Angesichts der hohen Professorenzahl und geringen Studierendenzahl sei das Curriculum „highly personalized“, schreibt Zhang. Es findet eine intensive Ausbildung statt – ab dem ersten Semester übrigens nur in Englisch. Auch ein Auslandssemester oder – Jahr ist obligatorisch.
Interessant ist das governance model der Uni. Es gibt kein Parteikomitee. Stattdessen überwacht ein Board of Trustees die Arbeit der Uni. Ihm gehören Wissenschaftler und Entrepreneure (wie der Gründer der Alibaba Cloud) an. Es findet also auch hier eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft statt. Zweck der Uni ist es nicht, Wissenschaftler im Elfenbeinturm zu „produzieren“, sondern Forscher, die ihre Ideen schnell in Produkte umsetzen. Bislang haben Absolventen der Westlake Universität 52 High-Tech-Unternehmen gegründet. Das Modell scheint also erfolgreich zu sein, so dass das Bildungsministerium in Beijing für weitere solcher Elite-Unis plädiert.
Info:
Hier der Artikel von Amber Zhang in Baiguan: https://www.baiguan.news/p/china-stem-talent-pipeline-innovation-westlake-university-hangzhou-deepseek-tech-ecosystem-gaokao-education-reform-qiangji-plan-research-university-scientist-training-ai-deeptech
Hier der Blick auf die Uni aus architektonischer Sicht: https://www.henn.com/de/projekt/westlake-universitaet